... nach Riga veranstalteten wir gemeinsam mit der VVN einen Gedenkgang von der Arnold-Bode-Schule zum "Gedächtnis der Gleise" im Kulturbahnhof. Auf dem Schulgelände sprach Frank-Matthias Mann zur Deportation nach Riga und rückte dabei insbesondere auch die Opferschicksale in den Mittelpunkt. Im Bahnhof sprach Ulrich Schneider, Bene Schuba und Birgit Goldbourn umrahmten das musikalisch.
... dem 7. September 2022 verlegten wir drei weitere Stolpersteine und starteten gemeinsam mit der Arnold-Bode-Schule in einer öffentlichen Veranstaltung das Projekt einer "Spur der Deportierten", die den Weg der 1941 nach Riga, 1942 nach Majdanek bzw. Sobibor und im gleichen Jahr nach Theresienstadt verschleppten jüdischen Menschen vom Sammellager in der Schillerstraße (heute Arnold-Bode-Schule) zum Kasseler Hauptbahnhof nachzeichnen soll.
Über die Gedenkveranstaltung und die Aktion schreibt Christina Hein in der HNA vom 8. September 2022:
In seiner Schlichtheit extrem bewegend und intensiv trug der Musiker Bene Schuba auf dem Schulhof der Arnold-Bode-Schule sein für die gestrige Gedenkaktion komponiertes Stück für Schlagzeug vor: 752 rhythmisierte Trommelschläge in unterschiedlicher Lautstärke. Jeder Schlag steht für einen jüdischen Menschen, der vor 80 Jahren von Kassel aus in das KZ Theresienstadt und damit in den Tod deportiert wurde. Für den Jahrestag hat sich der Verein Stolpersteine in Kassel mit der Schulgemeinde der Bode-Schule eine besondere Aktion ausgedacht, die gestern ihren Anfang nahm und über Jahre und weitere Schülergenerationen hinweg fortgesetzt und gepflegt werden soll: Vom Schulhof ausgehend wird eine blaue Farbspur auf den Straßenbelag bis zum Hauptbahnhof aufgetragen. Sie beschreibt den Weg, den die 752 Juden aus Kassel auf ihrer Deportation nach Theresienstadt gegangen sind. Es waren ihre letzten Schritte, ihre letzten Blicke, die sie auf ihre Heimatstadt Kassel warfen. Bis jetzt ist diese Spur, die später noch von den mit Schablonen aufgetragenen Namen der insgesamt 2500 aus Kassel Deportierten begleitet sein wird, erst 185 Meter lang und endet noch auf der Schillerstraße. Es ist eine Gedenkaktion „in progress“. „Wir wollen das Gedenken aktiv wachhalten“, sagte der stellvertretende Schulleiter Matthias Enkemeier vor Hunderten von Schülerinnen, Schülern und Gästen. Die Fachoberschule für Gestaltung am Standort der ehemaligen Bürgerschulen in der Schillerstraße nimmt ihr dunkles historisches Erbe aktiv an. Die nicht mehr existierende Turnhalle auf dem Schulgelände hatte der NS-Administration als Sammellager für nordhessische Juden gedient. Nach einer dort verbrachten Nacht ging es zum Bahnhof und zur Deportation in die Konzentrationslager. „Es ist unvorstellbar, aber es ist passiert“, sagte Norbert Sprafke, der Vorsitzende des Stolperstein-Vereins in seiner
Oben: Bene Schuba trägt das von ihm eigens komponierte Werk vor. - Die Lehrer Steffen Wichert, Tobias Platz, Jens Kroll und Thomas Hofer (von links) tragen mit einer Schablone der ersten Schnriftzug auf die blaue Spur auf..
Unten: Der stellv. Schulleiter Matthias Enkemeier, der Vorsitzende von Stolpersteine in Kassel Norbert Sprafke und der Kantor der jüdischen Gemeinde Jakob Axenrod, der ein Gebet sprach.
Im Süsterfeldweg, im Kunigundishof in Bettenhausen und in der Gartenstraße im Wesertor verlegten wir drei weitere Steine. Über die Verlegung im Süsterfeldweg berichtete der HR in der Hessenschau vom gleichen Tag.
Der Stein im Süsterfeldweg (oben links) erinnert an den kommunistischen Widerstandskämpfer Emil Freitag, der nach mehrjähriger Haft im KZ Mauthausen ermordet wurde. Jochen Boczkowski erläuterte seine Biografie, Philipp Hoffmann umrahmte die Verlegung musikalisch.
Der Stein im Kunigundishof (unten) ist dem Zeugen Jehovas Wilhelm Weltner gewidmet, der seine konsequente Verweigerung von Ansinnen der NS-Diktatur mit mehrjähriger Haft bezahlen musste. Alexander Mund stellte die Biografie seines Großonkels vor, Angelika Kolwicz begleitete mit der Querflöte.
Die Biografie des kommunistischen Widerstandskämpfers Walter Buda, für den wir in der Gartenstraße (oben rechts) einen Stein verlegten, erläuterte wiederum Jochen Boczkowski, musikalisch begleitet von Philipp Hoffmann. Walter Buda wurde mehrere Jahre inhaftiert und im KZ Sachsenhausen ermordet.
Fotos unten:
Angelika Kolowicz, Philipp Hoffmann, Jochen Boczkowski, Alexander Mund
Wir nahmen auch in diesem Jahr den Tag der Befreiung Deutschlands zum Anlass, weitere Stolpersteine zu verlegen. Wir ehrten das Ehepaar Fanny und Max Feldstein in der Ruhlstraße 2, das sich der weiteren Verfolgung durch Freitod entzog. In der Friedrich-Engels-Straße 2 verlegten wir Steine für Max Feldsteins Schwester Anna Behrens, die 1942 in Theresienstadt ermordet wurde, sowie deren Tochter Hilde Epstein und ihren Mann Harry mit dem Sohn Rudolf. Der 1930 Geborene lebt heute als Ralph Epstein in Brisbane (Australien) und freute sich aus der Ferne über die Verlegung der Steine für seine Familie. Dem Überlebenden der Deportation nach Riga, dem Pferdehändler Berthold Schiff, ist ein Stein vor der Goethestraße 1 gewidmet. Des Ehepaars Oppenheim, Miteigentümer der Rosshaarspinnerei, wird durch die beiden Steine vor der Herkulesstraße 6 gedacht.Hans Heinz Merkel, für den nun ein Stein vor der Wilhelmshöher Allee 114 liegt, erlebte noch als KZ-Häftling die Befreiung am Ende des Krieges, starb aber bereits wenige Tage später an den Folgen seiner Haft. Und schließlich erinnert nun ein Stein vor der Wilhelmshöher Allee 123 an die Witwe Emma Reimers, die sich wie das Ehepaar Feldstein dem Schlimmsten durch Freitod entzog.
Unser Vorsitzender Norbert Sprafke moderierte, Wolfgang Matthäus erläuterte die Biografien bzw. Familiengeschichten und bettete sie in den historischen Zusammenhang ein. Philipp Hoffmann und Stefan Hülsermann begleiteten die Verlegungen musikalisch. Jakob Axenrodt sprach Gebete, bevor Jochen Boczkowski am Ende den Text der Inschriften vorlas.
Diese Stolpersteinverlegungen sollten an den 80. Jahrestag des Deportation aus Kassel nach Lublin und Sobibor im Jahr 1942 erinnern, die von den etwa 600 deportierten Menschen ein einziger überleben sollte.
Vom Kirchweg 80 im Vorderen Westen ging es über die Breitscheidstraße 15 und die Tannenstraße 15 zur Philippistraße 22 in Rothenditmold, von dort zur Wolfhager Straße 55 im Schillerviertel und über die Kurt-Schumacher-Straße 9 in der Nähe des Stern am Ende in die Müllergasse 6 in der (ehemaligen) Altstadt.
Im Kirchweg 80 verlegten wir Steine für die Familie Goldschmidt, deren Tochter Lisel 1934 nach Schweden ging. Die Eltern folgten 1939, nachdem Lisels Vater David 1938 in Buchenwald inhaftiert worden war.
Der Stein vor der Breitscheistraße 15 erinnert an Dr. Ernst Grünbaum, den die Flucht nach Holland nicht davor bewahrte, schließlich in Auschwitz ermordet zu werden. Der Kantor der jüdischen Gemeinde Jakob Axenrod sprach ein Gebet.
Vor der Tannenstraße 15 würdigt ein Stein Julius Hochgräfe, einen Zeugen Jehovas, der auf Grund seiner verweigernden und widerständigen Haltung aus dem Glauben heraus mehrere Jahre Haft erleiden musste. Monika Fischer sang.
Die fünf Steine an der Philippistraße 22 sind den Ehepaaren Österreicher und Cheim gewidmet, die nach Riga deportiert wurden, und an Henriette Horn, die man in die Judenbaracke in den Zentgrafenstraße zwang, wo sie starb. Während die Österreichers ihre Befreiung erlebten, wurde das Ehepaar Cheim ermordet. Der Ortsvorsteher Hans Roth begleitete musikalisch mit der Geige.
Veronikal Blum sang an der Wolfhager Straße 55 einen Psalm für Thekla Grünbaum, die nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet wurde.
Die Schicksale der in Ravensbrück, Majdanek, Sobibor und Treblinka ermordeten Mitglieder der Familie Speier erläuterte Gudrun Schmidt an der Kurt-Schumacher-Straße 9
Den Journalisten Friedrich Herbordt bestraften die Nationalsozialisten mit 7 Jahren Haft wegen seiner Widerstandstätigkeit für die KPD. Jochen Boczkowski erläuterte seine Biografie, Philipp Hofmann begleitete u. a. mit dem Buchenwaldlied.