Bertha Katz stammte aus Gießen, wo sie am 27.5.1877 als Tochter des „Handelsmanns und Commissinärs“
Isaac Steinberger und seiner Frau Dora geb. Bauer geboren wurde. Am 23.5.1901 schloss sie in Frankfurt am
Main die Ehe mit dem gleichfalls aus Gießen stammenden Julius Katz, der dort am 4.6.1864 geboren worden
war. Nach Angaben aus Gießer Archiven war Julius Katz bereits 1888 als Student der Medizin nach Kassel
gekommen, hatte hier aber als Kaufmann gearbeitet. Im Jahr der Eheschließung bezog das Ehepaar eine
gemeinsame Wohnung, von 1901 bis 1915 in der Lutherstraße 5, danach in der Westendstraße 9. Seit 1902,
als der einzige gemeinsame Sohn Hans geboren wurde, war die Familie zu dritt.
Julius Katz machte Karriere. Spätestens seit 1902 besaß er mit zwei anderen Direktoren die Kollektivprokura
bei dem bedeutenden Kasseler und Hessisch Lichtenauer Textilunternehmen Fröhlich & Wolff, wo die Eigentümer
nicht selbst die Geschäftsführung ausübten. Julius Katz engagierte sich auch in verschiedenen Berufsverbänden,
so zum Beispiel im Verein für staatliche Pensionsversicherung der Privatangestellten, wo er mit
Johanna Waescher im Vorstand saß. Den im Beruf erworbenen Wohlstand nutzte die Familie im November
1930 und erwarb für 60.000 Mark ein Haus und Grundstück in der Kaiserstraße 73 (Goethestraße), wohnte
aber weiterhin in der Westendstraße. Wie lange Julius Katz bei Fröhlich & Wolff tätig war, konnten wir nicht
ermitteln. Der Erinnerung seines Sohnes nach soll er zum 1. Januar 1936 „seines Amtes enthoben“ und entlassen
worden sein. Er starb am 31.10.1936.
Der Sohn Hans hatte mit der „HaKa“ Reklame eine eigene Firma für „Werbekunst“ in der Wolfsschlucht, daneben
wohl noch zwei weitere Geschäfte. Schon bald nach dem Beginn der NS-Herrschaft sah er sich gezwungen,
Deutschland zu verlassen: „Infolge der gegen mich als Juden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen
und in der Erkenntnis, dass ein weiteres Verbleiben nur mit größter Gefahr für mein Leben und Freiheit verbunden
sein würde, wanderte ich aus, drei gut gehende Geschäftsbetriebe, deren Aufbau lange Zeit beansprucht
hatte, einfach aufgeben zu müssen“, schrieb er nach dem Krieg. In Prag betätigte sich Hans Katz in
der Vermittlung von Exportgeschäften deutscher Firmen in die Tschechoslowakei, unter anderem seit dem
1. September 1933 für die Firma seines Vaters Fröhlich & Wolff. Seine Mutter versuchte nach dem Tod ihres
Mannes, vom Oberfinanzpräsidenten die Genehmigung zur Schenkung von 50.000 RM an ihren Sohn zu erhalten
und ihn so am Erbe seines Vaters teilhaben zu lassen. Das scheiterte ebenso wie ihr Antrag 1938, für
ihren Sohn einen Betrag zur Begleichung der Auswanderungskosten in die USA transferieren zu dürfen.
Ohne finanzielle Unterstützung der Mutter emigrierte Hans Katz ein zweites Mal – gezwungen durch die
„nunmehr auch dorten [in Prag] auftretenden nationalsozialistischen Umtriebe“ , wie er später erklärte.
Bertha Katz zog ein knappes Jahr nach dem Tod ihres Mannes in das nun ihr allein gehörende Haus in der
Kaiserstraße 73, wo zu ihrem Haushalt auch eine Haushaltshilfe gehörte. Am 10. November 1939 erließ der Oberfinanzpräsident (Devisenstelle) gegen sie eine Sicherungsanordnung, wonach sie nicht
mehr über ihr
Vermögen verfügen und nur noch Ausgaben von zunächst 100, später 460 bzw. 445 RM ohne Genehmigung tätigen konnte. Das entsprach in etwa den von ihr angegebenen Kosten des zweiköpfigen Haushalts.
Für das Steuerjahr 1938 hatte sie noch ein Einkommen von 11.700 RM angegeben, im gleichen Jahr waren von ihrem Vermögen 36.400 RM an Judenvermögensabgabe eingezogen worden.
Bertha Katz erlebte, wie nach und nach Juden in ihr Haus eingewiesen wurden, nachdem man begonnen
hatte, sie aus ihren angestammten Wohnungen zu vertreiben und in möglichst wenigen Häusern (meist im
Besitz von Juden) zu konzentrieren. Das Formular, auf dem sie im April 1941 noch einmal Angaben über ihre
monatlichen Ausgaben machte, trägt den Vermerk: „erl. 17.4.41“. Am 25. April 1941 schied Bertha Katz freiwillig aus dem Leben. Auf der Sterbeurkunde heißt es: „Selbstmord durch Einnahme von
Veronaltabletten.
Motiv: Lebensüberdruß.“ (siehe Abbildung rechts)
Alleinerbe war Hans Katz, Nachlassverwalter die Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. Theodor Dellevie, der sich
allerdings nur noch Konsulent nennen durfte. Von dem umfangreichen Vermögen, das seine Kanzlei im Juni
1941 auflistete, gab es allerdings nichts zu verwalten. Haus und Grundstück, Barvermögen und Bankguthaben,
Wertpapiere und sämtliche beweglichen Dinge der Wohnungseinrichtung, deren Wert ein Gerichtsvollzieher
Stück für Stück taxierte, wurden beschlagnahmt.
Epilog: Kaiserstraße 73
Nach der Beschlagnahme des Hauses wurden vor allem im August 1941 die dort lebenden jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner in andere „Judenhäuser“ der Stadt eingewiesen, viele von ihnen in das
Haus
Kirchweg 72 in unmittelbarer Nähe. 21 Menschen, die einmal in der Kaiserstraße 73 gewohnt hatten (vor
allem zwischen 1939 und 1941), fielen dem Völkermord zum Opfer, starben in Buchenwald, Auschwitz, Riga,
Minsk, Sobibor, Theresienstadt, Sachsenhausen oder irgendwo „im Osten“:
Georg Braun | Emmy Ehrlich | Arthur Katz | Johanna Katz | Baruch Kleeblatt | Elma Kleeblatt |Bertha Kogan
Edith Lotte Kogan | Hermann (Chaim) Kogan | Ilse Kogan | Henriette Mayer | Walter Mayer | Dora Rotschild
Alice Hammerschlag | Gertrud Hammerschlag | Jettchen Hammerschlag |Rosa Jungheim
Lieselotte Kleeblatt | Herbert Mannheimer | Isaak Mannheimer | Jeanette Werthan
Bertha Katz hatte sich das Schicksal zahlreicher Bewohner ihres Hauses erspart.
Quellen und Literatur
HHStAW: 518 36739 |519/3 36482
StadtA Kassel: Adressbücher | Liste der jüdischen Einwohner | Sterbeurkunde Bertha Katz
Hanno Müller, Juden in Gießen 1788-1942
Wolfgang Matthäus, April 2019