Die Familie Goldschmidt stammte aus Hoof, der zusammen mit Breitenbach größten jüdischen Gemeinde des Landkreises mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 16% in den 1860er Jahren. Ihre Geschichte kann für den Aufstieg vieler jüdischer Familien vom Dorf in das städtische Bildungsbürgertum stehen. In Hoof sicherte der Großvater David Goldschmidt (1803-1881) den Lebensunterhalt der Familie als Großviehhändler und gehörte damit dort zur jüdischen Oberschicht. Dessen Sohn Jacob (1852-1923) entfloh bereits in jungen Jahren der dörflichen Enge, wie es in den Lebenserinnerungen seines Sohnes David aus dem Jahr 1961 heißt:
„Mein Vater hatte zunächst nur die Bildung eines Dorfvolksschulkindes, der sich aufgrund seiner Begabung und Tüchtigkeit weitergebildet hat und der schon in jungen Jahren bestrebt war, aus dem engen und sicherlich auch ärmlichen Dorfmilieu herauszukommen. Es ist bald nach Kassel gezogen und hat dort ein Herrenmaßschneidergeschäft eröffnet, obwohl er selbst vom Schneiderhandwerk nicht viel verstanden hat; er hat aber die Gabe und das Glück gehabt, immer einen tüchtigen Zuschneider angestellt zu haben.“
Jacob Goldschmidt ging bei Sigmund Aschrott in die Lehre und eröffnete spätestens 1886 sein eigenes Geschäft, in dem Herrengarderobe und später auch Damengarderobe maßgeschneidert wurde und das nach seinem Tod ein Sohn in der Jordanstraße weiter führte.
Die Söhne David und Ludwig schlugen den Weg ins akademische Bildungsbürgertum ein. Der am 8. August 1883 geborene David bestand als einer der wenigen jüdischen Schüler am Wilhelmsgymnasium das Abitur, studierte danach Jura in München, Berlin und Marburg und schloss dies mit der Promotion 1909 bei Prof. Schücking in Marburg ab. 1910 ließ er sich in Kassel als Anwalt nieder, obwohl er gerne Richter geworden wäre. Für jüdische Juristen war es aber – trotz rechtlicher Gleichstellung – kaum möglich, in den Staatsdienst zu gelangen. David Goldschmidt schreibt dazu in seinen Lebenserinnerungen: „Ich hätte gerne die Richterlaufbahn gewählt; aber dann hätte ich noch einige Jahre meinem Vater auf der Tasche liegen müssen; hinzu kam, dass es damals für einen Juden recht schwer – wenn auch nicht unmöglich – war, als Richter vorwärts zu kommen. Und so habe ich mich für den Anwaltsberuf entschlossen und am 1. September 1910 als Rechtsanwalt in Kassel niedergelassen.“
Neben seiner sehr erfolgreichen Anwaltstätigkeit leitete David Goldschmidt Repetitoriumskurse, in denen er angehende Juristen auf die 2. Staatsprüfung vorbereitete. Da dies die einzigen solcher Kurse in Kassel waren, nahmen aus dem Bereich Kassel fast alle Referendare daran teil – unter ihnen auch Roland Freisler. 1924 wurde David Goldschmidt zum Notar ernannt. Er war darüber hinaus auch als Syndikus des Verbandes der Handelsvertreter tätig und redigierte in den 20er Jahren die juristische Beilage des Kasseler Tageblattes.
Sein 1895 geborener Bruder Ludwig, mit dem er lebenslang eng verbunden war, schlug eine ähnliche Laufbahn ein. Auch er besuchte das Wilhelmsgymnasium, wo er 1914 die Reifeprüfung bestand, um danach an den gleichen Universitäten wie sein Bruder zu studieren; unterbrochen durch die dreijährige Teilnahme am Ersten Weltkrieg und abgeschlossen mit einer Dissertation. Auch Ludwig Goldschmidt wäre gerne Richter geworden, ließ sich aber 1925 in Kassel als Anwalt nieder und trat in die Kanzlei seines Bruders David ein, die sich zunächst in der Spohrstraße 1, später in der Spohrstraße 2 befand. 1932 wurde er wie sein Bruder zum Notar bestellt. In der jüdischen Gemeinde engagierte sich Ludwig Goldschmidt auch nach 1933 stark als Mitglied des Vorstandes der Israelitischen Gemeinde, Leiter ihres Wohlfahrtsamtes und Rechtsberater, zudem als stellvertretender Vorsitzender der bedeutenden Meier-Bär-Mond-Stiftung.
Das Ehepaar Goldschmidt - Klara Goldschmidt - Dr. David Goldschmidt
David Goldschmidts Frau Klara stammte aus Osnabrück, wo sie am 29.Januar 1893 als Tochter von Salomon und Rosine Wittgensteiner geboren wurde. Für die am 3. Februar 1915 geborene Enkelin Lisel (amtlich Lisa) war Osnabrück so viel wie eine zweite Heimat. Ihre Mutter Klara beschreibt sie in ihren Lebenserinnerungen als eine Frau, die trotz eines Herzleidens immer froh und heiter blieb, ihren Vater als „durch und durch von der deutschen Kultur geprägt, aber auch der jüdischen Ethik“, als einen typischen „Träger der deutsch-jüdischen Synthese“.
An die Umstände ihrer Einschulung am privaten Kästner’schen Lyzeum erinnert sie sich so: „Ich kam mit sechs Jahren in die Schule [1922, der Verf.] und weinte dabei sehr - trotz Zuckertüte (warum, weiß ich nicht mehr). Kinder mit Zuckertüte wurden damals fotografiert, und auch ich wurde zum Fotografen (N.) [Max Nehrdich, der Vf.] geschleppt. N. war Spezialist für Kinderköpfe, und es wurde kein ,,Zuckertütenbild‘ sondern ein Meisterwerk von einem Brustbild, das überall in Kassel ausgestellt wurde, unerträglich lange, zur Verzweiflung des Fotoobjektes. (...) Der Zufall wollte, dass ich, als ich im Sommer 1935 noch einmal zu Besuch in Kassel war, in einer Ausstellung seiner Bilder landete. Und plötzlich stand ich, tief erschreckt, der Riesenvergrößerung meines 6jährigen Ichs gegenüber; die eine ganze Wand einnahm. Dem Urbild eines ,germanischen‘ Kindes, hellblond, helläugig, mit kleiner, gerader Nase (jawohl, damals hatte sich noch nicht gebogen, was ein Häkchen werden wollte ...), das mich über nackte Kinderschulter hinweg mit aufmerksamem und ernstem Blick ansah. Eigentlich hätte ich es ihm sagen sollen, dem Herrn N., aber das wäre damals unmöglich gewesen. So wie die Dinge standen, habe ich mich ganz schnell incognito wieder herausgeschlichen. Völlig absurd - und schrecklich. Noch heute kann ich nicht darüber lachen, obwohl man es eigentlich sollte.“
Lisel Kahn besuchte danach die Studienanstalt, die 1930 nach Malwida von Meysenbug benannt und 1940 in Heinrich-Schütz-Schule umbenannt wurde. In diese Schule ging sie gern, wie sie später schreibt, vor allem, weil in ihrer Klasse ein „Solidaritätsgefühl besonderer Art“ herrschte und es gute Lehrer gab, „oft schon mit modernen Prinzipien.“
Außerhalb der Schule machte sie leidvolle Erfahrungen mit dem Antisemitismus der 20er Jahre. Sie schreibt: "Meine ersten Erinnerungen an Judenhass hängen mit dem Kirchweg und seinen Nebenstraßen zusammen. An der zweiten Nebenstraße links erwartete mich eine Schar von Kindern, die, wenn sie mich sahen, im Singsang losschrien: Blonde Jüdin vom Kirchweg - Blon-de Jüüü-din vom Kirch-weg.“ Und an anderer Stelle: „Ich sehe mich mit einem Stückchen Kreide in der Hand herumgehen und Hakenkreuze an den Hauswänden der Kattenstraße in Quadrate, mit vier Vierecken darin, verwandeln. Es muss dies schon vor 1925 gewesen sein“. Im Hohenzollernviertel (dem Vorderen Westen), in dem sie aufwuchs, beherrschten in dieser Zeit die Deutsch-Nationalen das politische Klima, in dem sich Lisel Goldschmidt nicht wohlfühlte. „Über dem Deutschland meiner Jugend wehte - offiziell - die Fahne schwarz-rot-gold. Die Fahne des Versailler Friedens, der Weimar-Republik, der Demokratie. Aber für die kaisertreuen, patriotischen, deutsch-nationalen Deutschen waren die Farben schwarz-weiß-rot durchaus nicht vergessen. Sie waren in ihren Herzen bewahrt worden - wie auch der nicht gewonnene Sieg. Beides sollte wieder auferstehen, in der Hakenkreuzfahne bzw. in dem Schrei der Nationalsozialisten ,,Sieg Heil“. Schwarz-weiß-rot war treu-deutsch, war Vaterlandsliebe, Mut, Ehre, war Frontkämpfer, ‚als wir vor Verdun standen‘, Kriegskameraden, Helden, Siege. War Deutschland, Deutschland über alles. Ich empfand Unbehagen diesen Farben gegenüber; sie symbolisierten etwas, was uns fremd war und wo wir nicht hingehörten. (…) Die deutsche Rechte - die Deutsch-Nationalen, Adel, Offiziere, Gutsbesitzer, Junker, die Mitglieder des ‚Stahlhelm‘ - waren schwarz-weiß-rot bis ins Mark hinein. Rassenhass und Judenfeindlichkeit gehörten von alters her mit dazu."
1933
Lisel Goldschmidts Schulalltag sollte sich mit dem Beginn der NS-Herrschaft radikal verändern. In ihren Lebenserinnerungen klagt sie zusammenfassend das für sie Unfassbare an: „Menschen wie du und ich, normale anständige Menschen mit ethischen Grundsätzen, mit Denk- und Urteilsfähigkeit, ließen nicht nur Grausamkeiten geschehen, sondern wurden selbst unmenschlich und grausam – in einem noch frühen Stadium, sogar.“ Ausführlich beschreibt sie, wie die jüdischen Schülerinnen ihrer Klasse sehr schnell zunehmend diskriminiert und isoliert wurden, bevor sie als letzte der Schule 1934 noch das Abitur ablegen konnten. 1934 ging sie nach Schweden, wo Verwandte ihrer Mutter lebten und ihr halfen, ein Leben in der Fremde aufzubauen. In einem Brief, den sie in der Nachkriegszeit an ehemalige Schulkameradinnen schrieb, fragte sie sich, was sie in ihrem zum Abitur anzufertigenden Lebenslauf wohl über ihre Zukunftspläne gelogen habe: „Dass ich zwei Wochen später Deutschland verlassen würde, um nach Schweden auszuwandern? Dass ich mir unter ‚Zukunft‘ überhaupt nichts vorstellen konnte, nachdem die Gegenwart die Tür meiner bisherigen Welt mit recht lautem Knall zugeschlagen hatte? Nein, so etwas schrieb man damals nicht.“ Tatsächlich log Lisel Kahn damals nicht. In ihrem Lebenslauf schrieb sie, dass sie „mit Rücksicht auf die Verhältnisse der deutschen Juden“ derzeit nicht sagen könne, welchen Berufsweg sie einschlagen wolle.
Als Rechtsanwälte gehörten David Goldschmidt und sein Bruder zu der Berufsgruppe, von der die Juden bereits in den ersten Monaten der NS-Herrschaft ausgeschlossen werden sollten. „Juden gehören nicht in deutsche Gerichte“ titelte die Hessische Volkswacht bereits am 5. April 1933 und beschrieb eine entsprechende Verordnung, nach der viele Anwälte ihre Zulassung verloren. Den Brüdern Goldschmidt gelang es als „Altanwalt“ bzw. als Frontkämpfer dies zu verhindern. Dennoch gab es in die Arbeit der Kanzlei einen gravierenden Einschnitt. David Goldschmidt beschreibt diesen in seinen Lebenserinnerungen: „Als die Hitlerzeit kam, änderte sich der Charakter unserer Praxis insofern, als die christlichen Auftraggeber – vor Hitler hatte ich mehr christliche als jüdische Klienten – wegblieben; aber es gab dann bald trotzdem oder gerade wegen der völlig veränderten Rechtsverhältnisse für Juden und jüdische Geschäfte viel zu tun.“ Im Juni 1933 entzog man ihm das Notariat und auch die Tätigkeit als Repetitor konnte er nicht fortsetzen. Ludwig Goldschmidt durfte nicht mehr vor Gericht auftreten und auch ihm entzog man 1935 das Notariat. Als Mitglied des Kuratoriums der Meier-Bär-Mond-Stiftung war er später maßgeblich daran beteiligt, dass das Kapital der Stiftung auch für Maßnahmen genutzt wurde, die Voraussetzungen für die Auswanderung schaffen sollten. Nach den Erinnerungen des letzten Rabbiners Robert Raphael Geis verhalf er Hunderten zur Auswanderung.
Während David Goldschmidt beruflich immer mehr eingeschränkt wurde, litt seine schwer herzkranke Frau unter den antijüdischen Maßnahmen im ärztlichen Bereich, die ihr eine angemessene Versorgung und Behandlung unmöglich machen. Die Tochter Lisel erinnert sich daran, dass es ihr Dienstmädchen war, die ihrer Mutter half, dennoch zu überleben. Sie hatten ihre Hausangestellte 1935 auf Grund der Nürnberger Gesetze entlassen müssen, dennoch kam diese heimlich zur Familie und half ihrer Mutter mit „rührender Liebe und Treue“, „verlor niemals ihre Menschlichkeit und setzte sich offensichtlich einer Gefahr aus, weil sie weiterhin den Kontakt zu meinen Eltern aufrechterhielt.“
1938
Kurz vor den Novemberpogromen musste Klara Goldschmidt schwer krank mit einer Ambulanz in das jüdische Krankenhaus in Frankfurt transportiert werden, da „kein Krankenhaus in Kassel Juden aufnehmen durfte, wollte oder konnte“, wie ihre Tochter schreibt. Als in Kassel der Pogrom einsetzte, begab sich David Goldschmidt „Hals über Kopf in der Nacht zum jüdischen Krankenhaus“ in Frankfurt zu seiner Frau, wo er allerdings verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt wurde. Seinen Bruder Ludwig verhaftete die Gestapo in Kassel und ließ ihn gleichfalls im eigens eingerichteten Sonderlager in Buchenwald inhaftieren. In diesem gesondert abgegrenzten Bereich innerhalb des KZ erfuhr der Terror noch einmal eine Steigerung. Welche Folgen das haben konnte, beschreibt David Goldschmidts Tochter: „Der bittere resignierte Mann, der 1939 nach Schweden kam (…) hatte nicht mehr viel gemeinsam mit dem früheren Bild seines Selbst.“ Er war „mit einemmal – und er war damals erst 56 Jahre alt – zu einem gebrochenen, unsicheren, in sich gekehrten Mann herangealtert. (…) Mein Vater hat körperlich keinen Schaden genommen (…), aber etwas in seiner Seele wurde vernichtet.“
Im Anschluss an den Pogrom mussten die Brüder Goldschmidt ihre Kanzlei schließen, die von Ludwig abgewickelt wurde. In Buchenwald waren sie unter der Auflage entlassen worden, Deutschland zu verlassen. Nachdem die schwedischen Verwandten für David und Klara Goldschmidt eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatten, gelangte David im Februar 1939 nach Stockholm zu ihrer Tochter, sein Frau Klara, die nicht so schnell fort konnte, erst einen Monat später – bis zur Grenze von einer jüdischen Krankenschwester begleitet. Der Staat hatte ihnen zuvor etwa 60.000 RM an Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe und Umzugsgutabgabe abgenommen.
Exil
Klara Goldschmidt hatte es noch geschafft, aus Deutschland herauszukommen, lebte aber nur noch wenige Monate in Freiheit und starb bereits im gleichen Jahr.
Ohne Sprachkenntnisse konnte David Goldschmidt dort als deutscher Jurist nicht beruflich Fuß fassen. Er konnte nie ganz seine Bitterkeit loswerden über das eigene Schicksal und das zahlreicher Familienangehöriger, die ermordet worden waren - darunter ein Bruder. Ein Angebot der hessischen Justizverwaltung, nach Deutschland zurückzukehren, lehnte er ab. In Schweden war er an der Herausgabe eines deutsch-schwedischen Juristenlexikons beteiligt und Mitarbeiter eines Lehrbuchs des Bürgerlichen Rechts. Er starb 1964. Seine Tochter und sein Bruder zeigten seinen Tod in der Kasseler Post an.
Lisel Goldschmidt begriff ihre Auswanderung nach Schweden immer als Akt der Selbstbehauptung. Mit dem Satz: „Ich bin nicht ‚vertrieben‘ worden, sondern ging von selbst“, verteidigte sie sich als Subjekt ihrer eigenen Geschichte. In Schweden fasste die Abiturienten sehr schnell Fuß, lernte rasch Schwedisch, bildete sich weiter und arbeitete auf dieser Grundlage als viersprachige Fremdsprachenkorrespondentin. Aus der Ehe mit dem 1938 aus Berlin gekommenen Herbert Kahn gingen die beiden Töchter Rita und Eva hervor. Das Ehepaar war im Ruhestand sehr aktiv in der jüdischen Gemeinde Stockholms, unter anderem der B‘nai B’rith Loge, als Ehrenamtliche Mitarbeiter des jüdischen Museums oder in der Betreuung von jüdischem Immigranten aus Gebieten der Sowjetunion. Nach dem Tod ihre Mannes (2006) lebte Lisel Kahn allein in Farsta und die letzten drei Jahre vor ihrem Tod an ihrem 97. Geburtstag im Jahr 2012 in einem jüdischen Altersheim - drei Monate, nachdem ihre Tochter Rita gestorben war.
Todesanzeige für Dr. David Goldschmidt - Lisel Kahn
Ludwig Goldschmidt entkam der weiteren Verfolgung gerade noch zu Kriegsbeginn 1939 mit seiner Frau Lieselotte und der sechsjährigen Tochter Yvonne nach England, wo es ihm gelang, mit berufsfremden Tätigkeiten für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Ihm war es nie gelungen, „innerlich von seiner Heimatstadt loszukommen“, schreibt seine Nichte, und er nahm deshalb das Angebot an, in Kassel als Richter am Oberlandesgericht tätig zu sein und beim Aufbau einer demokratischen Justiz zu helfen. Damit konnte er seinen ursprünglichen Wunsch erfüllen, Richter zu werden. In Kassel arbeitete er von 1948 bis 1951 als Oberlandesgerichtsrat und gehörte auch dem Verwaltungsgerichtshof an. Danach wurde ihm das Amt eines Senatspräsidenten beim Oberlandesgericht in Frankfurt übertragen, das er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1966 ausfüllte. Seit 1959 war er zudem richterliches Mitglied und seit 1960 Vizepräsident des Hessischen Staatsgerichtshofs. Die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes würdigte 1965 seine Verdienste um den Aufbau einer demokratischen Justiz, sein ausgleichendes und versöhnendes Wirken. Ludwig Goldschmidt starb im Mai 1970 und wurde auf dem neuen jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt beigesetzt.
Wolfgang Matthäus, Mai 2022
Quellen und Literatur
StadtA Kassel:
S3 264 (Sinai-Loge) | A5.55 (Wiedergutmachung) | S1 1206 (David Goldschmidt)
Schularchiv der Heinrich-Schütz-Schule Kassel:
Unterlagen zum Abitur 1934 | Stammbuch der Schule
HHStAW:
Best. 518 13835, 13830, 13831, 13835 (Entschädigungsakten Klara, David u. Ludwig Goldschmidt sowie der Anwaltssozietät G.) | 519/3 36196 (Devisenakte Ludwig Goldschmidt)
HStAM:
Best. 270 3363, 3392 u. 6257 (Zivilprozessakten Landgericht Kassel Entschädigungskammer)
Sammlung Wolfgang Matthäus:
Auszüge aus Lebenserinnerungen von David Goldschmidt und Lisel Kahn | Briefwechsel mit Lisel Kahn 1982ff.
Mitteilungen und Fotos von Eva Hallgren Kahn (Schweden)
Dietrich Heither / Wolfgang Matthäus / Bernd Pieper, Als jüdische Schülerin entlassen, 2. Aufl. Kassel 1987
Magda Thiering, Sein statt Schein. Anmerkungen zum Lebensbild eines herausragenden Menschen. Dr. Ludwig Goldschmidt (1895-1970), in: Jahrbuch des Landkreises Kassel 2004, S. 141ff.
Martina Schröder-Teppe, Wenn Unrecht zu Recht wird … . Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Kassel nach 1933, Kassel 2006