Emil Freitag

Süsterfeldweg 15

Emil Freitag ist am 27. Oktober 1902 in der damals noch eigenständigen Gemeinde Bettenhausen geboren. Er war das 2. Kind von insgesamt 9. Das Jüngste ist 1901 geboren, das Letzte 1923. Seine Eltern waren der Tischler Ernst Freitag aus Eschwege und Auguste Däumiger aus Oberhone. Sie sind in 1902 nach Cassel-Bettenhausen gekommen. Die Vielzahl der Kinder lassen die Aussage zu, dass es ärmliche Bedingungen waren unter denen die Familie existiert hat. Ein Wochenlohn von nur 18 RM des Vaters stand für Miete, Heizung, Essen und Kleidung zur Verfügung. Von Emils Geschwistern sind 3 im Kindesalter gestorben. 

 

Die Volksschule wird er zum Teil in Bettenhausen, Eichwaldstraße besucht haben. 1913 Umzug der Familie von Bettenhausen in die Wildemannsgasse 26 und Wechsel zur Knabenschule am Schützenplatz (heute Schule Am Wall). Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er in einer Kakaofabrik. Eine Lehrstelle konnte er wegen der Armut seiner Familie nicht antreten. Mitten im Weltkrieg I meldete er sich beim Militär um als Pferdepfleger in einem  Pferdelazarett zu arbeiten. Nach Kriegsschluss war er im Osten des Reiches als Pferdehändler und Bauarbeiter tätig. Ab 1924 war er wieder in Kassel. Bis 1930 hat er bei verschiedenen Baufirmen gearbeitet   Die Schilderung dieses Lebensabschnitts beruht auf der Urteilsbegründung seines Strafverfahrens aus dem Jahre 1936.

 

Am 30. März 1929 hat Emil die Arbeiterin Martha Rose, geb. Schudy geheiratet. Sie stammte aus dem kleine Ort Swiba in Mittelpolen, etwa auf halbem Weg zwischen Wroclaw und Lodz. Aus dieser Ehe sind 3 Kinder hervorgengegangen, Elvira Jahrgang 1929, Sigrid 1931 und Erwin 1934. 

In den Jahren 1931 bis 1932 gehörten Emil und Rosa Freitag zu den 100 Siedlern der Stadtrandsiedlung Süsterfeld, die hälftig auf Kasseler und Niederzwehrener Gebiet gegründet wurde. Im Zuge eines reichsweiten Siedlungsprogramms sind zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Wohnungsnot in Kassel die Erlenfeld- und die Süsterfeldsiedlung von vorwiegend Erwerbslosen in Gemeinschaftsarbeit gebaut worden. Kosten 2500 Reichsmark pro Haus. Freitags sind aus etwa 900 Bewerbern von einer Kommission ausgewählt worden. Zeitgeschichtlich interessant dürften die am Schluss abgedruckten Kriterien für die Siedler sein. In der Festschrift zum 50. Jubiläum der Siedlung wird darauf verwiesen, dass die große Mehrzahl der Siedler politisch den Arbeiterparteien SPD und KPD nahestand.

Jörg Kammler schreibt 1983 in Volksgemeinschaft und Volksfeinde über das „einzige Beispiel für die illegale Weiterarbeit einer geschlossenen Gruppe“ und bezieht sich auf eine Nachbarschaftsgruppe in der Arbeitersiedlung Süsterfeld. Er zitiert Georg Schmidt, Dachdecker aus dem 4. Süsterfeldweg (heute Spessartweg)

 

 „1933 war ich Obmann in der Süsterfeldsiedlung. Ich war Mitglied der Gemeindevertretung Niederzwehren, und dadurch bin ich 1932 hierhergekommen.  . . . . Wir hatten damals einen großen Teil Mitglieder von der SPD in der Siedlung; wir hatten aber auch ein paar Kommunisten und auch zwei Nazis. Alle auf die man sich verlassen konnte, haben dann 1933 eben weitergemacht. Wir waren, glaub ich, siebzehn oder achtzehn, die hier verhaftet wurden im März 1936, aber sie konnten uns nichts nachweisen, die Gruppe hat ja dichtgehalten. Wir haben sechs Wochen verbrummt im Polizeipräsidium.   . . . .   Wir hatten ja die ganzen Jahre immer irgendetwas gemacht. Wir hatten von der Arbeiterjugend damals eine Schreibmaschine, und die haben wir 1933 hierhergeholt und in der Siedlung betreut. Und zwar wurde zuerst ein Holzkasten gebaut, außen mit Dachpappe umschlagen. Innen kam ein Zinkkasten rein, und darein kam die Schreibmaschine und noch ein Abzugsapparat.  Die Kiste wurde dann heute hier und 14 Tage später irgendwo anders beerdigt.  . . . .     Aber die konnte zu jeder Zeit und Stunde ausgebuddelt werden, und dann hier irgendwo im Keller, bei Freunden im Sollingweg oder bei mir gearbeitet werden   . . . .   Das war nicht ungefährlich. Im Jahr ein paarmal, je nach dem was los war, hieß es ‚Kellersitzung‘. Schreiben tat das meist der Hermann Bienroth, der war Buchdrucker damals, bei einer Zeitung. Der hat das meistenteils  dann fertig gemacht, und dann wurden die Sachen hier im Keller abgezogen und verteilt.“

 

Bei der Verhaftung Emil Freitags im März 1939 und späteren Verurteilung spielten jedoch die Aktivitäten in der Siedlergemeinschaft keine Rolle. In seinem Verfahren vor dem berüchtigten Strafsenat des Oberlandesgerichts Kassel ging es um Vorbereitung und Beihilfe zum Hochverrat. Dieses Gericht hat in den Jahren 1933 bis 1945 überwiegend politische Gegner des Naziregimes verurteilt. Neben 15 Todesurteilen ergingen gegen 2500 Angeklagte Tausende und Abertausende Jahre Haftstrafen in Gefängnissen und Zuchthäusern.

In der Strafsache O Js 48/36 mit 15 Angeklagten sind am 1. Juli 1936 folgende Urteile ergangen

Emil Freitag, * 1903, Bauarbeiter, 1. Süsterfeldweg 15 3 Jahre Gefängnis

Artur Neumann, * 1904, Schlosser, Franzgraben 73 2 ½ Jahre Zuchthaus

Friedrich Freund, * 1900, Terazzoleger, Graben 37 9 Monate Gefängnis

Heinrich Schröck, * 1900, Asphalteur, Gelnhäuser Str 6 1 Jahr Gefängnis

Franz Schipper, * 1893, Dachdecker, Wildemannsgasse 13 1 Jahr Gefängnis

Hermann Schulz, * 1900, Klempner, Hebbelstr. 126 1 ½ Jahre Gefängnis

Johann Buchenau, * 1901, Arbeiter, Packhofstr. 3 8 Monate Gefängnis

Heinrich Busch, * 1902, Kraftfahrer, Frankfurter Str. 56 7 Monate Gefängnis

Adam Wicke, * 1907, Maurer, Mauerstraße 22 6 Monate Gefängnis

Robert Gnauert, * 1903, Arbeiter, Marktgasse 27 2 Jahre Gefängnis

Ludwig Illert, * 1903, Schneider, Marktgasse 27 1 ½ Jahre Gefängnis

4 weitere Anklagen wurden eingestellt.

 

6 Monate gab es für den Kauf der illegalen Zeitung „Der Kämpfer“ für 10 Pfennig, weil jede noch so geringe Unterstützung der kommunistischen Ziele ein hochverräterisches Unternehmen sei. Emil Freitag hat 3 Jahre Gefängnis bekommen, weil ihm vorgeworfen wurde, dass  er ab 1934 in den Vertrieb der „Roten Fahne“ eingebunden war. Dabei ist im Urteil der Verkauf von 5 bis 16 Roten Fahnen und die Ablieferung des Verkaufserlöses als Vorbereitung zum Hochverrat gewertet worden. Der Vertrieb von illegalen Zeitungen galt lt. Urteilsbegründung als besonders staatsgefährdend. In der vom März bis Juni 1936 dauernden U-Haft waren die Verurteilten erpresserischen und menschenrechtswidrigen Verhörpraktiken der Gestapo ausgesetzt. 

Insgesamt dienten diese Urteile der Abschreckung und Einschüchterung aller oppositionellen Kräfte, die den Nazis bei der Vorbereitung des Krieges entgegen treten könnten.

 

 

 

 Emil Freitag musste seine Haftstrafe in den Gefängnissen Hannover und Wolfenbüttel bis zum 10. März 1939 verbüßen. Nahtlos wurde dann aus dem Strafgefangenen ein Schutzhäftling. Mit Hindenburgs Reichstagsbrandverordnung vom Februar 1933 war die Gestapo ermächtigt ohne gerichtliche Überprüfung jeden zum Schutz von Volk und Staat ohne zeitliche Begrenzung wegzuschließen. Deshalb wurde Emil in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Auf der Dachauer Karteikarte ist er mit der Häftlingsnummer 33890 erfasst. Die Daten 24. Juni und 27. Sept. interpretiere ich als Zu- bzw. Abgang und das rote M dürfte für Mauthausen stehen.

 

 Das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich, liegt etwa 20 km östlich von Linz an der Donau. Es wurde unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das faschistische Deutschland im März 1938 eingerichtet. Mauthausen gehörte zur Lagerkategorie III. In ihm sollten die Häftlinge durch Arbeit vernichtet werden. Schwerstbelastete unverbesserliche Schutzhäftlinge sollten dort durch schwere Arbeit und schlechte Ernährung zu Grunde gehen. Dazu gehörte die Arbeit im Granitsteinbruch Mauthausen. Bis zur Befreiung 1945 sind dort etwa 200.000 Menschen inhaftiert gewesen, mehr als Hunderttausend haben nicht überlebt.

Emil ist nach einem Vierteljahr am 31.12.1939 gestorben.

 

Martha Freitag – Emils Witwe – ist 1980 im Alter von 89 im Süsterfeldweg 15 gestorben. 

Emils Eltern – Ernst und Auguste Freitag – und seine Geschwister Lina, Walter Oskar und Wilhelmine Ernestine sind bei der Kasseler Bombennacht vom 22. Oktober 1943 in der Mittelgasse ums Leben gekommen.

 

 

Die Todesstiege im Steinbruch Mauhausen

Die Häftlinge, welche dramatisch unterernährt waren,

mussten am Ende eines jeden Arbeitstages im

Steinbruch einen Steinblock zurück zu Lager (700m) hinauftragen. Das Gewicht des Steinblocks war zwischen 20 und 30 kg, die Todesstiege hatte 186 unregelmäßige Stufen, unterschiedliche Höhe. Bei Regen war die Stiege fast gar nicht begehbar. Die heute begehbare Stiege hat mit dieser "Todesstiege" nichts mehr zu tun.


Jochen Boczkowski im Juli 2022

 

Quellen:  

Stadtarchiv Kassel:   Meldeakten,   Adressbücher Kassel

Hauptstaatsarchiv Wiesbaden:     E-Akte Emil Freitag – HHStAW Signatur 518 / 2191

Staatsarchiv Marburg:     Strafakten Freitag u. A. – HStAM 254 / 230

Süsterfeldsiedlung 1932 bis 1982 – Geschichte einer Stadtrandsiedlung für Erwerbslose / GhK 1983

https://www.gedenkstaetten.at/raum-der-namen/cms/index.php?id=4&p=558&L=

https://collections.arolsen-archives.org/en/search/person/10643967?s=freitag%20emil&t=222841&p=0 

Volksgemeinschaft und Volksfeinde I und II, Herausgeber Jörg Kammler und Dietfrid Krause-Vilmar,    1984   https://kobra.uni-kassel.de/handle/123456789/2014120246581 

 

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