Emma und Heinrich Ferdinand Landschneider

Holländische Straße 55 (früher 51)

Heinrich Landschneider wurde am 27. 1. 1895 in Kassel geboren als erster Sohn von Johannes und Friederike Landschneider. Die Schwestern Sophie (l) und Anna (r) kamen 1897 und 1898 ebenfalls in Kassel zur Welt. (1) Nach mehreren Wohnungswechseln innerhalb der Stadt Kassel zog die Familie 1912 in die Lindenstraße - heute Eschebergstr. - nach Harleshausen. Heinrich war bei der Reichsbahn als Elektromonteur angestellt. 1922 heiratet er Emilie geb. Breithaupt und zog zunächst in die Frankfurter Str. 117, dann in 1925 in die Holländische Str. 51, die später in Nr. 55 umbenannt wurde. (2) Die Ehe wurde 1933 geschieden. Am 16.2.1935 heiratete Heinrich Emma Bodmann. Emma wurde am 11.5.09 in Obhausen (Sachsen-Anhalt) geboren. (3) Beide gehörten der Kasseler Gemeinde der Zeugen Jehovas an. Seit dem Verbot der Zeugen Jehovas durch die Nationalsozialisten kurz nach der Machtübernahme des NS-Regimes im Jahr 1933 kam es immer häufiger zu Repressalien verschiedenster Art, auch im Raum Kassel. Am 12. Dezember 1936 beteiligten sich etwa 3500 Zeugen Jehovas in Deutschland an einer Protestaktion. Unter ihnen waren auch Heinrich und Emma Landschneider. Im Schutz der Dunkelheit zwischen 17 und 19 Uhr verteilten sie Flugblätter, die den vollen Wortlaut der sogenannten „Luzerner Resolution“ enthielten. Auf diese Weise sollte die Öffentlichkeit auf die Verbrechen des NS-Regimes aufmerksam gemacht werden.

 

Darin heißt es auszugsweise: "Das Gesetz Jehova Gottes ist das höchste Gesetz. Er ist erhaben über

allem, ... und so erklären ... wir, daß wir Gott mehr gehorchen wollen als den Menschen. ... Wir rufen alle gutgesinnten Menschen auf, davon Kenntnis zu nehmen, daß Jehovas Zeugen in Deutschland, Österreich und anderswo grausam verfolgt, mit Gefängnis bestraft, und auf teuflische Weise mißhandelt und manche von ihnen getötet werden. Alle diese verruchten Taten werden gegen sie von einer grausamen, heimtückischen und bösen Macht verübt."

 

Noch am Abend des 12. Dezember wurden in ganz Deutschland rund ein Dutzend Zeugen Jehovas verhaftet. Heinrich Landschneider verhaftete man an diesem Tag in seiner Wohnung in der Holländischen Str. 51, das war das letzte Mal, dass Emma ihren Mann sah. Am 17. 12. wurde dann auch Emma verhaftet. Beide bleiben bis zur Gerichtsverhandlung im Mai 1937 in Kassel in Untersuchungshaft, um dann in getrennten Verhandlungen verurteilt zu werden.

Emma wurde am 5. Mai 1937 wegen „Hochverräterischer Umtriebe“ mit 2 Jahren Gefängnisstrafe belegt, welche sie in Frankfurt-Preungesheim verbüßte. (4) In Ihrer Akte wird als Tatmotiv "Glaubensüberzeugung" angegeben.

 

Heinrich erfuhr sein Urteil vom Sondergericht des Oberlandesgerichtsbezirks Kassel am 12. Mai 1937, das ihn zusammen mit anderen zu 3 Jahren und 6 Monaten Gefängnishaft verurteilt, wegen „Hochverrats“ und „staatsfeindlicher und zersetzender Betätigung“. Im Protokoll der Urteilsbegründung wird beschrieben, dass Landschneider keine Bereitschaft zeigte, nach Haftverbüßung seine Überzeugung aufzugeben. Ebenso dokumentiert es, dass Heinrich den Dienst mit der Waffe ablehnte sowie den „Deutschen Gruß“. Handschriftlich wird der Vorwurf ergänzt, an "hervorragender" Stelle für die Zeugen Jehovas aktiv gewesen zu sein.

 

In einer Auflistung des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra aus dem Jahr 1937 werden die Daten Dutzender Zeugen Jehovas aus Nordhessen an das Sicherheitshauptamt Berlin gemeldet, darunter auch die von Heinrich und Emma Landschneider. Am 19.5.1937 wurde Heinrich in das Gefängnis Hannover verbracht. Nach der Haftverbüßung kam er allerdings nicht wieder in Freiheit sondern als Schutzhäftling in das Konzentrationslager Sachsenhausen. In Sachsenhausen wurde er am 14. 11. 1940 als Zugang registriert und erhielt die Häftlingsnummer 34171.(6) Aus den dortigen Akten ist ersichtlich, dass Heinrich offenbar mehrfach im sogenannten Krankenrevier war. (7)

Aufgrund von Schilderungen seiner Schwester Sophie Matthiensen, die zu jener Zeit in Berlin lebte, und die eine Erlaubnis erhielt, ihren Bruder zu besuchen, wird deutlich, dass sein Gesundheitszustand extrem bedenklich war und sich zusehends verschlechterte. Es wird berichtet, dass ihm – wie auch allen anderen in Sachsenhausen befindlichen Zeugen Jehovas – in regelmäßigen Abständen eine Verpflichtungserklärung vorgelegt wurde, die zum Ziel hatte, dem „Glauben abzuschwören“ und prinzipiell bereit zu sein, „das Vaterland mit der Waffe in der Hand“ zu verteidigen. Seine Schwester Sophie beschrieb ihn als einen Mann, der „tapfer seinen Weg gegangen ist“. Er ließ sich in seiner Überzeugung nicht erschüttern. Es blieb ihr allerdings auch nicht verborgen, dass er furchtbar misshandelt wurde.

Todesurkunde des Standesamtes Oranienburg
Todesurkunde des Standesamtes Oranienburg

Nach einem Jahr in Sachsenhausen verstarb er – nach offizieller Lesart –an den Folgen chronischen Fleckfiebers und an „Herz- und Kreislaufschwäche“. Nach den Aussagen von Ernst-Richard Matthiensen, dem Neffen von Heinrich Landschneider erhielt „die Familie erhielt lediglich eine Urne mit der Asche zurück“. (8) Emma überlebte die Nazidiktatur, heiratete 1949 Adam Koch und verstarb 1993 in Kassel.

Ausschnitt aus der Meldekarte von Heinrich Landschneider mit einem Vermerk über den Tod in Sachsenhausen (5)
Ausschnitt aus der Meldekarte von Heinrich Landschneider mit einem Vermerk über den Tod in Sachsenhausen (5)

 

Auf der Titelseite der Erstausgabe der Zeitung „Hessische Nachrichten“ vom 26. September 1945 wurde unter der Überschrift „Ihnen die Lorbeeren, uns die Verpflichtung“ stellvertretend 18 kurhessischer Bürger gedacht, die durch das NS-Regime ums Leben kamen. (9) Dazu gehörte Heinrich Landschneider. Er wurde nur 46 Jahre alt. (10)

 

 

 

 

1,10) Ernst Richard Matthiensen USA

2) Stadtarchiv Kassel Adressbuch

3) Standesamt Weida-Land

4) HHStAW 409_596

5) Stadtarchiv Kassel A3.32EMK

6-8) Dok ITS Bad Arolsen 4089361/4089355/4107433

9) HNA Kassel Archiv

 

 

 

Wilfried Siegner, Juli 2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für die meisten der damals in der Zeitung benannten Opfer des Nationalsozialismus hat der Verein Stolpersteine in Kassel bereits Stolpersteine verlegt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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