Verlegung der Stolpersteinwe am 5.3.2018
Wir gedenken hier der jüdischen Familie Goldberg: Vater Baruch, geb. 1895 in Olpiny (Polen), Mutter Rosa, geborene Seemann, geb. 1904 in Niebylow (Polen) und die Söhne Manfred und Hermann, die in den Jahren 1930 und 1934 in Kassel geboren sind.
Von 1920 bis 1939 führte Baruch mit Unterstützung von Rosa ein Textilgeschäft in der Müllergasse 12-16. Hier wohnte
die Familie auch ab dem 2.3.1937 nach einem Umzug aus der nahe gelegenen Bremer Straße 16. Die Häuser der Kasseler Altstadt wurden in der Bombennacht am 22.Oktober 1943 total zerstört. Beim
Wiederaufbau Anfang der 1950er Jahre wurden die engen Gassen verbreitert, die Häuser wurden größer, so dass die Grundstücke, wo die
Goldbergs wohnten, heute die Nummern 2-4 tragen.
Die gutgehenden Geschäfte des Baruch verschlechterten sich ab 1935 durch die Repressalien des NS-Regimes. Am 20.8.1939 wurde Baruch ein Ultimatum gestellt: entweder er verlässt Deutschland innerhalb von 24 Stunden oder er wird in ein Konzentrationslager gebracht.
Also verließ er sofort gezwungenermaßen seine Heimatstadt Kassel und emigrierte nach England.
Der Mutter und den beiden Söhnen wurden Visa innerhalb der nächsten 8 Wochen in Aussicht gestellt. Doch zwei Wochen nach Baruchs Ausreise begann der Krieg und so saßen die drei in der Falle!
Am 9.Dezember 1941 wurden sie mit 1000 jüdischen Mitbürgern in das Ghetto Riga deportiert. Sie wurden in den Jahren bis kurz vor Kriegsende in fünf verschiedene Arbeitslager gebracht: Riga-Kaiserwald, Precu, Stolp, Burggraben und Stutthof, die teilweise der Deutschen Reichsbahn unterstanden. Daher mussten Mutter und Manfred, (erst 13 Jahre alt!) schwere Arbeiten verrichten: Gleisbau, Steine klopfen, Schützengräben ausheben. Sie mussten Misshandlungen ertragen, waren häufigen Selektionen ausgesetzt.
Eines Tages im September 1943 kehrten Rosa und Manfred von ihrer schweren Arbeit in das Lager Precu zurück. Aber wo war Hermann? Ihnen wurde erzählt, zwei SS-Männer hätten Hermann und drei weitere Kinder aufgegriffen und seien mit ihnen weggefahren.
Trotz aller Bemühungen, auch nach Kriegsende, hat Rosa nie etwas über Hermanns Schicksal erfahren.
Bruder Manfred hat in 1991 ein Gedenkblatt in Yad Vashem für Hermann eingerichtet.
HERMI – LAST SEEN IN RIGA – GHETTO AUGUST/ SEPTEMBER 1943.
Die letzten Monate vor Kriegsende verbrachten Rosa und Manfred im KZ Stutthof, 37 km östlich von Danzig. Als die Sowjetarmee vorrückte, wurden 5000 Gefangene im April 1945 auf einen „Todesmarsch“ gen Westen geschickt, streckenweise auf Schiffe „verladen“ in der Erwartung, das Schiff würde sinken. Doch das misslang! Und so gelangten sie schließlich nach Neustadt in Schleswig-Holstein. Am 3. Mai 1945 wurden sie durch eine zufällig vorbeikommende Britische Panzerkolonne befreit. Alle Überlebenden wurden in einer Unterkunft für Deutsche Marinesoldaten in der Nähe von Neustadt untergebracht.
Die Gesundheit der beiden war durch den langen Lageraufenthalt, die schwere Arbeit und die Misshandlungen schwer beschädigt: Manfred litt unter Typhus und Tuberkulose, Rosa wurde in der Landesklinik wegen Angst- und Schwindelzuständen, Depressionen und Typhus behandelt. Beide hielten sich mehrere Monate im Erholungsheim Lensterhof auf.
Im September 1946 erhielten sie die Visa zur Einreise in England und so trafen Mutter und Sohn endlich mit Vater Baruch in London zusammen, nachdem dieser ihnen das Reisegeld zugeschickt hatte.
Wegen starker gesundheitlicher Probleme war Rosa auch weiterhin in ständiger ärztlicher Behandlung. Im Mai 1961 erlitt sie während einer Operation einen Herzinfarkt und verstarb mit 59 Jahren im St.Ann´s Hospital in Tottenham.
Während der ersten Monate in England wurde Baruch interniert in einem ungenutzten Lager der Britischen Armee in Dover. Da er keine Arbeitserlaubnis bekam, musste er von staatlicher Unterstützung leben. In 1940 trat er in die Britische Armee ein, wurde aber wegen gesundheitlicher Probleme in 1942 ausgemustert. Nun durfte er nur kriegsdienliche Arbeiten als Angestellter verrichten. In 1948 wurde die Einschränkung aufgehoben. Nun konnte er sich als Händler für Schmuck und Juwelen etablieren und verdiente Ende 1950 durch Vermietung möblierter Zimmer hinzu.
In 1977 heiratete er ein zweites Mal: Sicilia Lwowna, geboren 1913 in Kiew (Ukraine). Die Ehe dauerte nur zehn Jahre, da Baruch in 1986 mit 91 Jahren in London verstarb.
Sohn Manfred konnte sich als 16jähriger gut in die neue Situation in London einleben. Er erlernte rasch die englische Sprache und studierte an der Londoner Universität Elektronik mit Abschluss.
Er ist verheiratet, hat vier Söhne und mehrere Enkelkinder.
Voriges Jahr besuchte er mit einem Freund aus Kriegstagen das Konzentrationslager Stutthof anlässlich einer Besichtigung des englischen des englischen Prinzen William und seiner Gattin Kate
Und heute, am 5. März 2018, ist er als einer der wenigen Überlebenden der Deportation von 1941 erstmalig in seine Heimatstadt Kassel zurückgekehrt, um mit einigen Familienangehörigen an der Verlegung der Stolpersteine“ für seine Familie teilzunehmen.Prinzen William und seiner Gattin Kate.
Margrit Stiefel, im März 2018
Quellen:
Private Korrespondenz mit Manfred Goldberg, London, im Dezember 2017
Adressbücher und Hausstandsbücher, Stadtarchiv Kassel
Entschädigungs- und Wiedergutmachungsakten HHStAW 518 5215 und 518 6175
H.Thiele: Jüdische Einwohner in Kassel
Kleinert/Prinz: Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933-45
Holocaust Editional Trust: www.het.org.uk/survivors-manfred-goldberg
Yad Vashem: Gedenkblatt für Hermann Goldberg (erstellt von Manfred Goldberg am 15.8.1991)
Bildnachweis: http://www.dailymail.co.uk/femail/article-4706244/Kate-William-Gdansk-day-two-Polish-tour.html 30.1.2018
Erinnerung an den Transport aus Kassel und seine Opfer im Museum des Rigaer Ghettos und des Holocaust in Lettland in Riga (Fotos: Marina Kuchminskaja-Eimer - 2018)
Hier gibt es Fotos von der Verlegung der Steine