Die Steine wurden am 5.3.2018 verlegt
Leib Ehrlich wurde am 18. Juni 1900 in der polnischen Industriestadt Lodz geboren. Er erlernte den Bäckerberuf, war aber zumeist als Händler tätig. Wann und warum er nach Deutschland auswanderte, ist nicht bekannt.
Seine Frau Sala Ehrlich, geborene Storch stammte ebenfalls aus Lodz. Sie wurde am 15. März 1901 geboren. In einem
Dokument wird als Geburtsort Lecicia genannt. Ich vermute, dass es sich dabei um die Stadt Legnica (Liegnitz) in Niederschlesien handelt. Ein Beruf wird für sie nicht angegeben. In Deutschland ist das Ehepaar zunächst in Oberzwehren gemeldet, das damals noch eine selbständige Gemeinde war
und erst im Jahr 1936 nach Kassel eingemeindet wurde. Eine Adresse ist jedoch nicht bekannt.
In Oberzwehren wurden auch ihre beiden Kinder Nelly (15.3.1921) und Bernhard (20.11.1923) geboren.
Im Jahre 1924 zog die junge Familie dann nach Kassel und wohnte dort zunächst in der Fuldagasse 8. Im Sommer 1928 sind sie dann in der Gartenstraße 22 gemeldet, von wo aus Leon auch sein Abzahlungsgeschäft * „in Wäsche und Bildern“ betrieb
Seine Frau Sala war ebenfalls im Geschäft tätig. Die Kinder besuchten die Jüdische
Schule in der Großen Rosenstraße. Schon früh erkennen die Ehrlichs, was ihnen in Deutschland droht und ent-scheiden sich, im Juni 1933 nach Frankreich
zu emi-grieren. Ein Ausweis für die Grenzüberschreitung (für die Tochter Nelly,siehe weiter unten) trägt das Datum 8. April
1933.
Sie halten sich dort in Belfort, Dijon und dann in Lyon auf, das bis zum Herbst 1942 noch nicht von deutschen Truppen besetzt war. Dort sind sie auch wieder als Markthändler tätig. Auch die beim Grenzübertritt 12-jährige Tochter Nelly hilft neben und nach ihrem Schulbesuch im Geschäft. Im Jahr Dezember 1941 wird die Familie nach Decines, einer Kleinstadt östlich von Lyon geschickt. Zwangsaufenthalt nennt Nelly das später.
Im August 1942 werden die Mutter Sala und der Sohn Bernhard verhaftet. Sie kommen in
das Internierungslager Drancy und werden von dort aus am 2. September 1942 nach Auschwitz deportiert.
Der Vater und die Tochter Nelly befanden sich zu dem Zeitpunkt zu Besuch in einer Nachbarstadt und
konnten telefonisch gewarnt werden. Über die Deportation wurden sie durch eine schriftliche Nachricht, die Bernhard aus dem Zug werfen konnte, informiert. Sala und Bernhard waren damals 41 und 18
Jahre alt und sind daher vermutlich in eines der angeschlossenen Arbeitslager gesteckt worden. Allerdings gibt es über ihren weiteren Verbleib keine Unterlagen.
Nelly
und ihr Vater tauchen unter und besorgen sich falsche Papiere. Sie überleben die Zeit bis zur Befreiung Frankreichs in häufig wechselnden Verstecken. In Grenoble, das zu der Zeit von italienischen
Truppen
Truppen besetzt war, wird Nelly im Dezember 1942 auch einmal verhaftet. Durch einen wohlwollenden Richter kommt Nelly nach zwölf Tagen wieder frei. Sie geht nach Lyon und versteckt sich bei Freunden. Bis zur Eroberung Lyons durch amerikanische Truppen am 2.9.1944 lebt sie in ständiger Angst, wiederentdeckt, verhaftet und deportiert zu werden. In dieser Zeit verstärkt sich auch ein Hautleiden, das nach der Verhaftung erstmals aufgetreten war und sie bis an ihr Lebensende quälen sollte und zu mehrfachen medizinischen Behandlungen führte.
Hinzu kommt ein langjähriger, letztlich erfolgloser juristischer Streit mit den deutschen Behörden. Diese bestreiten
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihrem Gesundheitszustand und der Verfolgungssituation im Krieg. Bis zu ihrem Lebensende in 1969 muss sie immer wieder medizinische Untersuchungen über sich
ergehen lassen. Ca. ein Dutzend Gutachten und Gegengutachten werden erstellt.
Anerkannt werden nur die Haftzeiten der Mutter Sala, für die Nelly und ihr Vater Leon Leib eine Entschädigung erhalten.
Nelly zieht 1945 von Lyon nach Paris, heiratet dort und heißt von nun an Knippel.
Ihr Vater Leon, der zunächst auch nach Paris und später nach Dijon gezogen war, heiratet 1947 ebenfalls.
* Abzahlungsgeschäft alter Begriff für Ratenkauf
** Anmerkung zu den Vornamen der Ehrlichs in den amtlichen Dokumenten in Deutschland:
Leo (statt Leon Leib), Sara (statt Sala) und Elli (statt Nelly).
Quellen:
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: hhstaw 518,
Stadtarchiv Kassel: Adress- und Hausstandsbücher A 3.32 HB 191
Helmut Thiele: Die jüdische Einwohner zu Kassel 1700 - 1942
Magistrat der Stadt Kassel (Hg.): Namen und Schicksale der Juden Kassels – 1933 bis 1945, Ein Gedenkbuch (bearbeitet von B. Kleinert und W. Prinz), Kassel 1986
Jürgen Strube 23.1.2018
Hier gibt es Fotos von der Verlegung der Steine