Untere Königsstraße 86 (früher 86 1/2)

Moses Gipfel                                                               Rebekka Regina  Gipfel, geb. Derbfleisch                           Reha Ruth Gipfel                                                            Hale Helga Gipfel                                                         Kreindel Karoline Berger, geb. Derbfleisch

Verlegung der Stolpersteine am 5.3.2018

Die jüdischen Eheleute Gipfel hatten zwei Töchter. Die Kaufmannsfamilie lebte hier über zwei Jahrzehnte mit der verwitweten Mutter, ehe sie noch für zwei Jahre in die Mittelgasse 53 umziehen musste.

Aus den wenigen vorhandenen Angaben u.a. des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen (ITC) und des Hess. Haupt-und Staatsarchivs Wiesbaden  haben wir folgende Informationen zusammen gestellt (Fotos gibt es leider keine):

 

Der Vater, Moses Gipfel, wurde am 20. Februar 1898 in Pilzno, Galizien, Polen, geboren. Er war Kaufmann von Beruf und wohnte in Hannover. Er war 31 Jahre alt, als er nach Kassel zog und am 3. Dezember 1929 in die Kaufmannsfamilie Berger einheiratete. Als der Verfolgungsdruck zu groß wurde, emigrierte er drei Wochen nach Kriegsbeginn am 19.9.1939 nach Amsterdam. Ob er seine Familie, also seine Frau mit ihrer verwitweten Mutter und die beiden kleinen Töchter, in die Niederlande nachkommen lassen wollte, ist nicht bekannt. Aus den ITC-Archivunterlagen geht hervor, dass er in Enschede war und „am 19.Oktober 1942 nach Esterbore überstellt wurde“. Sein Name steht in der Transportliste des bekannten niederländischen Sammellagers Westerbork. Von dort aus wurde er in das KZ Auschwitz deportiert und am 28. Februar 1943 ermordet.

die Heiratsurkunde
die Heiratsurkunde

Die Mutter, Rebekka Regina Gipfel, geb. Derbfleisch, stammte auch aus Galizien, lebte aber mit ihrer Familie schon seit 1915 in Kassel. Sie wurde am 8. Juni 1905 in Zeldec, Kreis Zolkiew geboren. Sie war 10 Jahre, als sie am 4. April 1915, also während des Ersten Weltkriegs, aus Polen zu ihren Eltern nach Kassel kam, die gerade hier in die Wörthstr. 29 eingezogen waren. Ein Jahr später zog man für 23 Jahre in die Untere Königsstr. 86 1/2.  Als sie Moses Gipfel am 3.Dezember 1929 in Kassel heiratete, war sie 24 Jahre alt und Verkäuferin von Beruf. Später wird sie ihr Verfolgungsschicksal mit ihrer Mutter und mit ihren Töchtern teilen.

Die Großmutter mütterlicherseits, Kreindel Karoline Berger, geb. Derbfleisch, war früh verwitwet. Ebenfalls in Galizien geboren, am 15. März 1877 in Wolina, Kreis Nisko, war sie, vermutlich mit ihren Eltern, als 11-Jährige im Mai 1898 nach Kassel gekommen. Ihr Mann, Wolf Berger, ein Handelsmann, wurde am 13. Februar 1869 in Kupicwoli, geboren.

Luftaufnahme aus 1942 (die 86 1/2 ist das Haus rechts neben dem Wort "Platz")
Luftaufnahme aus 1942 (die 86 1/2 ist das Haus rechts neben dem Wort "Platz")

Das Ehepaar Berger hatte einen Sohn, geboren am 20. Oktober 1899 und zwei Töchter: Dora, die am 4. Oktober 1909 mit neun Jahren starb und die jüngere Rebekka, damals vier Jahre alt. Wolf Berger starb mit 51 Jahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg am 7. September 1920 in Kassel. Die Familie wohnte lange in der Unteren Königsstr. 86 1/2, wo die verwitwete Großmutter im Adressbuch als Geschäftsinhaberin für Woll- und Weißwaren geführt wurde.

Über die Enkeltöchter, Reha Ruth Gipfel, geboren am. 14. Januar 1931 und Hale Helga Gipfel, geboren am 15. Februar 1935 in Kassel, konnten wir nur sehr wenig erfahren. Die Kinder waren knapp 11 und 7 Jahre alt, als sie 9.Dezember 1941mit ihrer Mutter, 36 Jahre, und ihrer Großmutter, 64 Jahre, mit dem ersten Deportationszug von Kassel nach Riga deportiert wurden.

Auszug Deportationsliste 9.12.1941 Kassel Riga
Auszug Deportationsliste 9.12.1941 Kassel Riga

Siegfried Ziering, ein überlebender Kasseler Jude beschrieb 1946 diesen Transport in das Ghetto Riga so (Auszug):

„Am 9. Dez. 1941 fuhren wir ab. Es waren ungeheizte 3ter Klasse Coupés. Wir fuhren über Berlin, Breslau, Königsberg, Tilsit und kamen am 12. Dez. in Riga an. Es waren 40° Kälte. Das meiste Gepäck ließen wir am Bahnhof auf Nimmerwiedersehen. Bei einem furchtbaren Schneesturm mussten wir ins Ghetto marschieren. 10 Kilometer…. Die ersten 3 Wochen bekamen wir überhaupt keine Verpflegung…“

Dieser Brief wird in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem aufbewahrt.

Viel später, 1964, wird der überlebende Nachbar Manfred Goldberg, der mit seiner Familie ebenfalls nach Riga deportiert wurde, berichten, wie es für Gipfels dort weiterging. Demnach wurde in Riga alsbald ihre Großmutter von ihrer Mutter und den Kindern getrennt und verschickt. Frau Gipfel und die Kinder waren bis Ende 1944 in verschiedenen Arbeitslagern und mussten schwere Arbeit im Bahnbau verrichten. Im September 1944 wurde Manfred Goldberg von ihnen getrennt, er habe sie „nie wieder gesehen".

Mutter Rebekka, dann 39 Jahre alt und 13jährige Tochter Reha Ruth kamen am 1. Oktober 1944 im KZ Stutthof um.

 

Quellen:

Stadtarchiv Kassel, Hausstandsbücher A 3.32 

Magistrat der Stadt Kassel (Hg.): Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933 -1945, Kassel 1886

Entschädigungsakten 518, 62997 HHStA Wiesbaden

Einlieferungsbuch Stutthof CCC 25/14 Ordner Nr.51, Seite 4  Internationaler Suchdienst Arolsen

Deportationsliste www. statistik-des-holocaust.de/list_ger_hhn_411209.html (1.2.2018) 

        

Jochen Boczkowski, Jürgen Strube, Gudrun Schmidt

 

Hier kann man Fotos von der Verlegung der Steine ansehen.

 

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