Den Text in Englisch finden Sie hier.
Max Löser
Geb. 30 September 1886 in Kassel
Verst. 1942 in New York/USA
Cäcilie Henriette Löser, geb. Erlanger
Geb. 11 November 1890 in Marburg a. d. Lahn
Verst. 13.02.1984 in Massachusetts/USA
Hans Ferdinand Löser
Geb. 26.09. 1920 in Kassel
Verst. 15.05.2010 in Massachusetts/USA
Rosa Elisabeth Löser (genannt Lisel)
Geb. 28 Juni 1922 in Kassel
Verst. 25.09.2014 in Massachusetts/USA
Max Löser wuchs als Sohn des Kaufhausgründers Ferdinand Löser und seiner Frau Marianne in Kassel auf. Nach der kaufmännischen Ausbildung diente er für Deutschland im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg hat er Cäcilie Erlanger geheiratet, im Kaufhaus des Vaters mitgearbeitet, und nach dessen Tod im Jahre 1920 das Geschäft übernommen. Max und Cäcilie bezogen die moderne Maisonette-Wohnung in den obersten zwei Etagen im Geschäftshaus in der Königsstraße. Hier lebten sie siebzehn Jahre lang, bis sie gezwungen waren aus Kassel zu fliehen. Beide Kinder sind hier zur Welt gekommen und haben eine wohlbehütete Kindheit genossen. Die Wohnung war sehr großzügig mit u. a. drei Schlafzimmern zur Straße, zwei Wohnzimmern, einem Esszimmer, Küche, Badezimmer. Sie hatten Zentralheizung; man konnte die Wohnung in der 4. und 5. Etage auch mit einem Lift erreichen. Hinter der Wohnung befanden sich die Büros der Firma und ein Dachgarten, wo Max Löser regelmäßig seine Leibesübungen machte (Loeser, S. 30).
Vater und Tochter mit dem ersten Auto (1928) - Die Familie auf ihrem Segelboott am Steinhuder Meer (1935)
Max und Cäcilie Löser waren ein geselliges Paar. Sie hatten viele Bekanntschaften, darunter den bekannten Dr. Felix Blumenfeld. Sie trafen sich regelmäßig bei Sonntagsausflügen im Frühjahr und Sommer. Max und Cäcilie liebten Theater und Oper. Sie besuchten und veranstalteten auch viele Maskenbälle, die während der Weimarer Zeit in ihren Kreisen sehr beliebt waren. Als Tenor sang Max in einem a capella Chor in Kassel. Obwohl für seine Frau peinlich (Interview 1980, S. 15), war er begeisterter Auto- u. Motorradbesitzer. Als Managerin arbeitete Cäcilie Löser Tag für Tag in der Kurzwarenabteilung. Sie führte auch den Familienhaushalt, wies das Dienstpersonal an, engagierte Kindermädchen, Köchin, Musiklehrer für die Kinder und andere. Sie kümmerte sich regelmäßig um andere in der Jüdischen Gemeinde.
Lisel Löser (Zweite von links) zwischen Dr. Felix Blumenfeld (links) und dessen Schwester Thekla bei den Blumenfelds im Garten - Bar Mizwa von Hans Löser mit "Tante Thekla" (1933)
Für seine Kinder und Enkel beschrieb Hans in seiner Kindheitserinnerung (Loeser, 2007) das Leben der Familie als unbekümmert und aktiv. Hans wurde 1927 in der Henckel’sche Privatvorschule eingeschult und verbrachte die ersten vier Jahre dort. Danach ging er im Frühjahr 1931 zum Kasseler Wilhelmsgymnasium und blieb an der Schule bis Ende März 1936. Die zwei Jahre jüngere Schwester von Hans, Rosa Elisabeth (genannt Lisel, geb. 1922) wurde auch auf die Henckel’sche Privatvorschule eingeschult. Lisel teilte ihr Kinderzimmer mit dem von beiden Kindern geliebten nicht-jüdischen Kindermädchen, Ida Beyer, die bis nach ihrer Hochzeit 1934 bei der Familie blieb. Hans und Lisel haben sie danach regelmäßig besucht. Lisel konnte sehr gut schwimmen. Im Sommer verbrachten beide Kinder viel Zeit in ihrem Kasseler Schwimmverein
Die Geschwister - Hans - Mutter mit Kindern 1935
„Als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler, der Führer der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ (NSDAP) Regierungschef des Deutschen Reichs wurde, stieg die Ideologie des Antisemitismus zur Staatsdoktrin auf. Trotz der jahrelangen Propaganda der Nationalsozialisten war vielen Deutschen nicht bewusst, wie ernst die Judenfeindschaft des neuen Regimes gemeint war.“ (Benz, S. 24.) Das Leben der Familie Löser veränderte sich stark ab Frühjahr 1933. Das Geschäft von Max Löser litt sofort unter den geplanten Boykottmaßnahmen mit der Aufforderung „Kauf nicht bei Juden“. SA Männer standen vor dem Eingang der Ferdinand Löser & Co., ließen Kunden nicht ins Geschäft (Klaube, S. 47). Max und Cäcilie Löser versuchten, ihr Geschäft weiterzuführen, aber Ende November 1935 sah sich Max Löser gezwungen, seine Firma zu verkaufen. Sein Haus und das Grundstück behielt er zu diesem Zeitpunkt noch. Der Käufer, Kaufmann Karlheinz Wiese, war ein Bekannter von Max Löser. Sohn Hans meinte (Loeser, S. 58-59), Herr Wiese hätte einen fairen Preis fürs Geschäft bezahlt, und eine Monatsmiete für die Räumlichkeiten mit seinem Vater vereinbart. Von dem Verlust der Traditionsfirma habe sich Max Löser aber nie erholt. Im 1980er Interview mit ihren Enkeln Harris und Thomas, meinte die 90-jährige Cäcilie, dass es Lisel war, die sich zuerst über das Mobbing ihrer Mitschülerinnen beschwert hat. Die Klassenlehrerin bestätigte das Verhalten, meinte aber, da könne man nichts dagegen tun. Lisel verließ die Schule mit 13 Jahren und reiste allein über München nach Meran, wo sie Schülerin des Alpinen Schulheims am Vigiljoch wurde. Hans blieb am Wilhelmsgymnasium bis Ostern 1936; ein Jahr später wurden beide Kinder nach England geschickt, wo sie weiter zur Schule gingen an der Stoatley Rough School in Haslemere/Surrey.
Max und Cäcilie Löser hatten ihre Kinder in Sicherheit gebracht. Aber das Leben für sie wurde immer prekärer und emotional belastend. Zwischen 1933 und 1937 hatten sie eine Strategie des Abwartens verfolgt. Nach dem Verkauf des Geschäfts lebten sie sogar noch bis Mitte 1937, also über 18 Monate in der darüberliegenden Wohnung. Ihre Tage waren aber dort gezählt, nachdem Max der „Rassenschande“ beschuldigt wurde (Loeser, S. 64). Ihre erste Fluchtunternehmung war der Umzug in die Jenaer Straße 22, Berlin-Wilmersdorf, wo sie unbekannt waren. Die Zeit in Berlin nutzte Max Löser, einen Zufluchtsort im Ausland zu finden und soviel von seinem Vermögen aus dem Land zu schaffen wie möglich. Aber wohin? Sie hatten eigentlich keine internationalen Verbindungen und sie waren keine Zionisten. Trotzdem schien Palästina die einzige Möglichkeit. Historische Tatsachen waren schneller als ihre Entscheidungen. Ab Mitte 1938 wurden die rassistischen Methoden gegen die deutschen Juden verschärft. Während der Reichspogromnacht am 9./10. November und in den Tagen danach wurden viele jüdische Männer verhaftet. Als „Aktionsjude“ (hauptsächlich wohlhabende Juden zwischen 20 und 50 Jahren) wurde Max Löser Mitte November von der Gestapo verhaftet als er unterwegs war in Berlin. Cäcilie wusste nicht, wo er war (Interview 1980, S. 23). Bei dieser Aktion wurden jüdische Männer nach Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau gebracht. Es wurde berichtet, dass die Camps überfüllt waren. Obwohl er in Berlin gemeldet war und dort lebte, kam Max nicht nach Sachsenhausen, sondern nach Dachau, wo er inhaftiert war vom 17.11.-6.12.1938. Nachdem sie herausbekommen hatte, wo ihr Mann war, fuhr Cäcilie dorthin, verhandelte unter Tränen (Interview 1980, S. 25), bezahlte, unterschrieb Entlassungspapiere. Wie Hunderte andere „Aktionsjuden“, kam Max Löser frei. „Am schlimmsten war, … , die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber Rohheit und Barbarei, des Preisgegebenseins an Knechte eines Terrorsystems, denen bürgerlicher Anstand, Recht und Achtung von Menschenwürde nichts galten, …“ (Benz, S. 178)
Häftlinge in Dachau (Propagandafoto der SS - Bundesarchiv) - Häftlingskarte von Max Löser (arolsen archives)
Mit Transitvisa für die Niederlande und Großbritannien und Visa für Palästina, fuhren Max und Cäcilie ein letztes Mal mit der Bahn, über gefährliche Grenzen (Interview 1980, S. 25-27). Sie besuchten ihre Kinder in Südengland und fuhren Anfang 1939 weiter nach Palästina. Dort versuchte Max, sein Geschäft neu aufzubauen, aber ganz ohne Erfolg. Von einem Verwandten in Amerika erhielten sie unerwartet ein Jahr später eine eidesstattliche Erklärung (Affidavit) und damit Visa für die ganze Familie. Am gleichen Tag Anfang 1940, kamen Max und Cäcilie aus Palästina, Lisel und Hans aus England, in New York City an. Ein neues Leben begann. Für die Kinder Hans und Lisel bot das neue Leben viele Herausforderungen, aber auch gleich viele Chancen. Beide nutzten die Chancen und waren ausgesprochen erfolgreich im Beruf und engagierten sich stets gesellschaftlich. Cäcilie Löser machte einfach weiter, fand Arbeit und blieb in der Nähe ihrer Kinder. Nach der Demütigung der 1930er Jahre, der Misshandlung in Dachau, konnte Max Löser sich nie erholen. Er verstarb 1942.
Hans Löser als Soldat der US-Army - Er kam nach dem Krieg nach Deutschland und auch Kassel und sah die Ruinenlandschaft der Oberen Königsstrße mit seinem
Elternhaus (rechst oben der Kaufhof, links davon in der Bildmitte Obere Königsstaße 27 (derzeit Schuh Schäfer) (StadtA Kassel 0.005.360)
Quellen und Literatur
Einwohnermeldekarte Max Löser
Hans F. Loeser, Hans’s Story, iUniverse, 2007
Hans u. Herta Loeser, „Since Then… “ Letters from former Stoatley Roughians, Boston,MA/USA, 1971 https://de.wikipedia.org/wiki/Alpines_Schulheim_am_Vigiljoch
https://www.youtube.com/watch?v=_2L8GXi-U7Y
https://www.exploringsurreyspast.org.uk/the-stoatley-rough-school-historical-trust/
KZ Gedenkstä_e Dachau, NARA Zugangsbuch Nr. 105 / 29476
Interview mit Cäcilie Löser, Sommer 1980
Wolfgang Benz, Gewalt im November 1938: Die „Reichskristallnacht“ Initial zum Holocaust, Metropol Verlag, Berlin 2018 Harald Jähner, Höhenrausch: Das Kurze leben zwischen den Kriegen. Rowohlt-Berlin Verlag, Berlin, Sept. 2022
Frank-Roland Klaube, Kassels Flaniermeile: Königsstraße und Königsplatz, Wartburg Verlag, Gudensberg-Gleichen
2005
Heinrich Uhlig, Die Warenhäuser im Dritten Reich, Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen, 1956
Michael Wildt, Zerborstene Zeit: Deutsche Geschichte 1918-1945. Verlag C.H. Beck oHG, München 2022
Cynthia Tilden-Machleidt, Oktober 2023
Zusammen erarbeitet mit Schülern des Kasseler Wilhelmsgymnasiums während der Projektwoche, Juli 2022
Verlegung am 10. November 2023