Die Familie Mondschein war, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, ein „Patchworkfamilie“. Die 1881 in Schwarzenborn / Ziegenhain geborene Hilda Mondschein war in erster Ehe mit Victor Mondschein verheiratet, dessen Familie aus Felsberg stammte.
Aus dieser Ehe ging als jüngstes Kind der am 8. Juli 1915 in Kassel geborene Paul hervor, der mit dem 1904 geborenen Ernst und der 1907 geborenen Toni wesentlich ältere Geschwister hatte. Victor Mondschein starb bereits Anfang 1916. Seine Witwe Hilda heiratete erneut (wahrscheinlich 1927) und zwar ihren Schwager und den Onkel ihrer Kinder Karl Mondschein. Dieser hatte aus seiner ersten, 1919 geschiedenen Ehe drei eigene Kinder: die 1908 und 1912 in Brüssel geborenen Claire und René sowie die 1915 in Kassel geborene Martha.
Karl Mondschein hatte 1897 in Kassel das Abitur bestanden, danach eine kaufmännische Lehre absolviert und sich in Brüssel als Import- und Exportkaufmann niedergelassen. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges musste er dieses aufgeben. Die gesamten Kriegsjahre über diente er als Soldat, nach einer Verwundung zuletzt als Dolmetscher im Kriegsgefangenenlager Kassel-Niederzwehren.
Nach der Scheidung und der späteren Eheschließung mit seiner Schwägerin Hilda Mondschein bestand die „Patchworkfamilie“ aus den Eltern sowie René und Paul. Keiner von ihnen sollte die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus überleben. Karl Mondscheins Töchtern Claire und Martha gelang es dagegen, in die USA zu gelangen. Auch Hilda Mondscheins Tochter Toni schaffte die Auswanderung nach Palästina, während ihr Sohn Ernst noch ganz spät nach Schanghai fliehen konnte und später nach Australien ging.
Die Familie Mondschein wohnte in einem eigenen Mehrfamilienhaus in der Wilhelmshöher Allee 40, in dem auch die Firmen Chr. Beck & Söhne (Feinmechanik und Optik) sowie die Buchdruckerei Köhler& Müller ansässig waren und das ursprünglich Victor Mondschein gehört hatte. Die Familie lebte von der Verwaltung seines Vermögens und vor allem von den Mieteinnahmen. Zu den Mietern zählten der Lehrer an der jüdischen Schule Walter Bacher, der 1944 in einem Außenlager von Buchenwald ermordet wurde, und der jüdische Likörfabrikant Carl Cramer, der 1939 nach Chile auswandern konnte.
Paul Mondschein kam 1925 an das Realgymnasium I schräg gegenüber seinem Elternhaus und bestand 1934 das Abitur. Sein Abiturzeugnis zeugt vom Antisemitismus, der auch in den Schulen seit 1933 Einzug fand. Die Lehrer bescheinigten ihm in allen Fächern außer Französisch allenfalls ein „genügend“ (ausreichend), in Leibesübungen ein „nicht genügend“. Studienmöglichkeiten gab es für jüdische Abiturienten zu dieser Zeit so gut wie nicht, auch ein Ausbildungsplatz war für einen Juden schwer zu finden. Paul Mondschein ging nach Hamburg, um sich kaufmännisch ausbilden zu lassen und danach dort zu arbeiten. Von 1934 bis 1938 war er Mitglied der deutsch-israelitischen Gemeinde der Stadt. 1938 in Kassel, geriet er bei den Novemberpogromen am 10. November in die Fänge der Gestapo, wurde zusammen mit ca. 250 männlichen Juden inhaftiert, als „Aktionsjude“ in das KZ Buchenwald deportiert und dort in einem Sonderlager innerhalb des KZ eingesperrt. Er teilte dieses Schicksal mit seinem Bruder René. Als Paul Mondschein am 26.12.1938 entlassen wurde, hatte er Haftbedingungen erlebt, die anderen Verschleppten das Leben gekostet hatten.
Nach seiner Entlassung bemühte er sich offenbar um eine Auswanderung nach Palästina und war als „landwirtschaftlicher Praktikant“ auf Gut Winkel bei Spreenhagen in Brandenburg tätig. Das war eine zionistisch geprägte Ausbildungsstätte, die jungen Juden, die für den Aufbau einer „Heimstatt“ der Juden in Palästina arbeiten wollten, dafür qualifizierte. Die landwirtschaftliche Ausbildung stand dabei im Vordergrund dieser Vorbereitung („Hachschara“) auf die „Alija“, die jüdische Besiedlung Palästinas.
Paul Mondschein gelang es nicht, seine Pläne zu verwirklichen. Er wurde am 28. März 1939 erneut verhaftet, nach Buchenwald deportiert und dort am 6. November des gleichen Jahres erschossen.
Der 1978 in Kassel geborene Karl Mondschein war zusammen mit seiner Frau Hilda von November 1935 bis März 1936 einige Monate auf „Orientierungsreise“ in Palästina, um vor allem offenbar für René, vielleicht aber auch Paul und sie selbst Einwanderungsmöglichkeiten zu finden. Das gelang nicht, das Ehepaar kehrte nach Kassel zurück, obwohl es eine Warnung vor Gefahren gab, die sich bewahrheiten sollte. Karl Mondschein verhaftete man im April. Wahrscheinlich stand das im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender für den Bund der Auslandsdeutschen vor 1933. Von da an war er im KZ Dachau, kurze Zeit auch im KZ Buchenwald in Haft. Nur im August 1939 ließ man ihn für wenige Tage frei, um seine Auswanderung organisieren zu können, was aufgrund des Kriegsbeginns am 1. September scheiterte. Er kam erneut in Haft. In Dachau brach man ihm die Goldzähne heraus, mit 1.000 RM musste er das notwendige Gebiss selbst bezahlen. Ein Briefwechsel mit seiner Frau Hilda führte 1941 zu Verhören und Untersuchungen. Karl Mondschein versuchte, einem ehemaligen Mithäftling Geld für die Auswanderung zukommen zu lassen, seine Frau kämpfte mit Hilfe des nach Schanghai geflohenen Sohnes Ernst noch immer verzweifelt darum, dass auch ihr Mann dorthin gelangen konnte. Sie schrieb ihm unter anderem: „Also Carl, du siehst daß ich dauernd bemüht bin um deine Auswanderung.“
Alle ihre Bemühungen waren allerdings vergeblich. Karl Mondschein wurde am 12. Juli 1941 zusammen mit weiteren polnischen und jüdischen Häftlingen, deren körperlicher Zustand schlecht war, erneut nach Buchenwald überstellt. Dort begann man mit Morden im Rahmen der Aktion „14 f 13“, die sich gegen Juden, Kranke und Behinderte richtete und die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ (Aktion T4) in den Konzentrationslagern fortsetzte. Am 12. März 1942 wurde Karl Mondschein im Rahmen von vier Transporten mit insgesamt fast 400 jüdischen Häftlingen in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale deportiert und dort in der Gaskammer noch am gleichen Tag ermordet.
Paul Mondscheins Mutter Hilda musste im März 1938 zwangsweise das Haus der Familie weit unter Wert verkaufen und aus ihrer Wohnung ausziehen. „Großzügig“ wurde ihr gestattet, in einem einzelnen Zimmer im Erdgeschoss des Hauses zu wohnen, bis sie am 25. September 1941 auch daraus vertrieben und in ein Haus in der Moltkestraße eingewiesen wurde. Das war bereits die Vorbereitung auf ihre Deportation in den Osten.
Hilda Mondschein gehörte zu den jüdischen Verfolgten Kassels, die am 8. Dezember 1941 verhaftet und in die Turnhallen der Bürgerschulen in der Schillerstraße verschleppt wurden. Nur das allernötigste Gepäck durfte sie wie alle anderen mitnehmen. In den Turnhallen traf sie auf mehr als 1.000 Leidensgenossen aus dem gesamten Regierungsbezirk, die von der Gestapo mit Beschimpfungen und Fußtritten „begrüßt“ wurden. Durchsuchungen auch des Körpers führten zur Beschlagnahme noch vorhandener Wertsachen wie Uhren, Ringen oder Schmuck.
Nach einer Übernachtung auf dem Fußboden der Turnhallen formierte die Gestapo am Morgen des 9. Dezember eine unübersehbare Menschenmenge von mehr als Tausend Personen (darunter etwa 90 Kinder bis zu zehn Jahren) zu einer Marschkolonne, die von der Schillerstraße mitten durch die Stadt zum Gleis 13 am Hauptbahnhof geführt wurde. Dabei setzte die Polizei auch Hunde ein. Der Sonderzug DA 36 führte in die lettische Hauptstadt Riga. Das war Teil eines Mitte 1941 gefassten Beschlusses, die Juden aus dem Reich in den Osten zu verschleppen. Als der Kasseler Transport dort eintraf, waren erst einige Tage vorher in dem dort für die lettischen Juden eingerichteten Ghetto mehr als 25.000 Menschen ermordet worden, um Unterbringungsmöglichkeiten für die Juden aus Deutschland zu schaffen. Hilda Mondschein traf noch auf die unübersehbaren Spuren dieses Massenmordes. Menschen in ihrem Alter galten iim Ghetto Riga, wo es auf die Arbeit der Häftlinge ankam, in der Regel als arbeitsunfähig und wurden ermordet. Die genauen Todesumstände Hilda Mondscheins sind nicht bekannt. Sie starb in Riga ebenso wie die allermeisten der aus Kassel Deportierten.
René Mondschein, der die Schule mit mittlerer Reife verlassen hatte, lebte mit kurzen Unterbrechungen in Kassel. Zusammen mit seinen Eltern unternahm er offenbar erfolglose Versuche, nach Palästina zu gelangen und dort als Gärtner zu arbeiten. Nach der Verhaftung seines Vaters half er seiner Mutter bei der Verwaltung des Hauses. Im November 1938 wurde er wie sein Bruder Opfer der „Novemberaktion“, nach Buchenwald verschleppt und dort bis Ende Januar unter brutalen Bedingungen inhaftiert. René Mondschein ging im Juli 1939 nach Paderborn in das jüdische Umschichtungs- und Einsatzlager am Grünen Weg. Von dort machte er sich noch im gleichen Jahr zusammen mit vier Kameraden über Berlin auf zur illegalen Einwanderung nach Palästina. Dazu wählten sie offenbar den Fluchtweg über die Donau. Mit dem Schiff auf dem Weg nach Rumänien kam die Gruppe wie eine ganze Reihe von Flüchtlingen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei in Jugoslawien nicht weiter und wurde bei Šabac verhaftet.
In Serbien griffen im Gefolge des Aufstandes vom Juli 1941 Wehrmacht, SS und SD zu äußerst brutalen Vergeltungsaktionen, die sich auch auf Juden erstreckte und in deren Folge bis zum Dezember 1941 fast alle jüdischen Männer ermordet wurden. René Mondschein wurde im Oktober 1941 im Konzentrationslager Zasavica bei Šabac ums Leben gebracht, wo es zu zahlreichen Morden an Juden kam.
Quellen:
StadtA Kassel (Kenn- und Meldekarten, Entschädigungsakten)
HHStAW (Entschädigungs- und Devisenakten Familie Mondschein)
Martha Mondschein Bauer Papers (http://lcdl.library.cofc.edu/lcdl/?f%5Bcollection_titleInfo_title_facet%5D%5B%5D=Martha+Mondschein+Bauer+Papers%2C+1940-2001)
Schularchiv der Albert-Schweitzer-Schule Kassel
Wolfgang Matthäus, Januar 2015