Mathilde, Pepi und Siegfried Popper, Flora Silber,

Mirjam und Renée Fanny Laufer

Entenanger 2 (früher Oberste Gasse 34)

Briefkopf der Firma Popper
Briefkopf der Firma Popper

Mathilde und Hermann Popper stammten aus dem vor 1918 österreichischen Teil des dann polnischen Galiziens und waren seitdem polnische Staatsangehörige, obwohl sie bereits seit der Jahrhundertwende in Kassel lebten und hier 1902 geheiratet hatten. In Kassel waren die staatenlosen Töchter Mirjam (1906), Flora (1908) und Pepi (1909) zur Welt gekommen, während der einzige Sohn Siegfried 1905 in Kalusz (Polen), dem Geburts- und Heimatort seines Vaters, zur Welt kam. Mathilde Poppers Eltern starben 1920 bzw. 1933 in Kassel. 1918 zog die Kaufmannsfamilie in das Haus Oberste Gasse 34, das sie zuvor erworben hate und wo sie einen Großhandel für Kurzwaren betrieb. Als die Naionalsozialisten an die Macht kamen, war Hermann Popper Hauseigentümer und Geschäftsinhaber, nach seinem Tod 1936 seine Frau Mathilde.

im Hintergrud das Haus Oberste Gasse 34
im Hintergrud das Haus Oberste Gasse 34

Pepi Popper besuchte nach der Grundschule das städische Lyzeum, danach die städische Gewerbeschule in der Gießbergstraße und war im Geschät der Familie täig. Sie sollte die einzige aus der Familie sein, die sich dem Völkermord entziehen konnte. Ende September 1937 gelang es ihr, in die USA auszuwandern.

Flora Popper heiratete Ende 1933 den aus Berlin stammenden Hersz Silber, der seit Anfang der 20er Jahre in Paris lebte. Psychisch schwer erkrankt verbrachte sie 1934 mehrere Monate in den Israeliischen Kuranstalten in Sayn. Schon zur Zeit des Klinikaufenthaltes ihrer Tochter hatten die Eltern große Schwierigkeiten mit der Devisenstelle, von den gesperrten Konten die Rechnungen der Kuranstalten

begleichen zu dürfen, wozu der Schwiegersohn in Paris offensichtlich nicht in der Lage war. Ende 1934 kehrte Flora Silber in die Wohnung der Familie zurück, die nun die Pflege übernahm, bis sie spätestens 1938 in eine Heilanstalt in Rinteln kam und unter Vormundschaft gestellt wurde. Von hier wurde sie im September 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf in Niedersachsen verlegt. Das war Teil der planmäßigen Ermordung psychisch Kranker.

Mathilde Popper
Mathilde Popper

In Wunstorf wurden unter dem Tarnbegriff „planwirtschaftlicher Verlegungen“ jüdische Patienten gesammelt, um 158 von ihnen am 27. September 1940 in das Zuchthaus Brandenburg zu deportieren, wo die erste Tötungsanstalt eingerichtet worden war, in der alle noch am gleichen Tag vergast wurden.

Siegfried Popper besuchte ein Gymnasium und studierte in Köln Jura. Danach war er im elterlichen Geschäft tätig und führte es zusammen mit seiner Mutter, nachdem sein Vater Hermann 1936 gestorben war. Im Dezember 1938 verkaufte Mathilde Popper das Haus Oberste Gasse 34 für 30.000 RM, nachdem sie zur Aufgabe des Geschäftes gezwungen worden war, behielt sich aber das Recht vor, weiter dort wohnen zu können. 1939 lebte sie mit den Kindern Mirjam und Siegfried sowie der Enkelin Renée in einem Raum und einer Küche. Weitgehend ohne Einkommen und auf Erspartes angewiesen, suchte die Familie verzweifelt nach Auswanderungsmöglichkeiten. In dieser Situation ging Siegfried Popper so weit, einen Brief an den Reichskanzler persönlich zu schreiben, in dem er um Unterstützung für erträgliche Auswanderungs-bedingungen bat – unter anderem um den Erlass der Reichsfluchtsteuer und die vollständige Mitnahme des Umzugsgutes. Er bat um einen „ehrenvolle(n) und freie(n) Abzug ohne Tributpflicht“. Sein Brief war wahrscheinlich die Ursachen dafür, dass Siegfried Popper im September und dann noch einmal im Dezember 1939 verhaftet, vernommen und in „Schutzhaft gehalten“ wurde. Im November 1940 ging er nach Fürstenwald in Brandenburg. Sein Schicksal ist nicht aufgeklärt. Vermutlich versuchte er von dort im Rahmen der Hachschara, die junge Menschen für die Auswanderung nach Palästina qualifizieren sollte, illegal dorthin zu gelangen. Nach den Angaben seiner Schwester befand er sich 1941 in Jugoslawien. Dort wurden als „Vergeltung“ des serbischen Aufstandes fast alle jüdischen Männer von SS, SD und der Wehrmacht ermordet. Ob Siegfried Popper unter ihnen war, ist nicht bekannt.

Siegfried Popper
Siegfried Popper

Mathilde Poppers Versuch, Ende 1939 mit Hilfe von bezahlten Fluchthelfern eine illegale Auswanderung der Familie in die Niederlande zu organisieren, wurde entdeckt und scheiterte. Wie ihren Sohn Siegfried verhaftete man sie am 1. Dezember 1939. In den Verhören tat sie alles, um ihre Kinder zu entlasten, indem sie ihre Alleintäterschaft betonte. Das Landgericht Kassel verurteilte Mathilde Popper in der Hauptverhandlung am 6. August 1940 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und einer zusätzlichen Geldstrafe von 10.000 RM. Auch nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe blieb sie in Haft. Der Einweisung in das Arbeitserziehungslager Breitenau am 17. Juni 1941 folgte auf Anweisung der Gestapo am 15. August die „Überstellung“ in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, wo wie am 24. April 1942 den Tod fand.

Mirjam Popper besuchte wie ihr Bruder eine höhere Schule und studierte Medizin in Frankfurt. Im Juni 1930 verlobte sie sich in der Kasseler Wohnung mit dem promovierten Juristen und Syndikus Jakob Laufer, den sie später heiratete. Die Tochter Renée Fanny kam am 20.10.1933 zur Welt. Noch im gleichen Jahr emigrierte Jakob Laufer nach Paris, während seine Frau Mirjam weiterhin in der Obersten Gasse lebte und auf Einkommen aus dem Geschät angewiesen war, da ihr Mann in der Emigraion keine Arbeit fand und kaum für sich selbst sorgen konnte. Während sich die Mutter in Haft befand, musste Mirjam Laufer mit ihrer Tochter Renée die angestammte Wohnung verlassen und mehrfach zwangsweise umziehen. Am 12. Mai 1942 kam sie als Schutzhäftling in das Arbeitserziehungslager Breitenau, ihre Tochter Renée in ein Waisenhaus. Dass die Geheime Staatspolizei Kassel, am 26. Mai 1942 Mirjam Laufers Entlassung anordnete, diente nur dazu, sie zusammen mit ihrer Tochter am 1. Juni nach Sobibor zu deportieren, wo beide am 3. Juni ermordet wurden.


Wolfgang Mathäus      2014


Quellen: HHStAW Abt. 518 (Entschädigungsakten) und Abt. 519 (Devisenakten);

Wolfgang Mathäus, Kaiserstraße 13, Kassel 2014

 

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