Max und Fanny Feldstein geb. Katzenstein

Ruhlstraße 2

Links: Die Eltern von Max Feldstein - Johanna (geb. Katzenstein) und Moritz Feldstein

Rechts: Familienfeier 1931, als die Welt noch in Ordung war. Von links nach rechts: Henne und Ernst Feldstein (Bruder von Max Feldstein) und Anna Behrens), unbekannt, Fanny Feldstein, Anna Behrens mit ihrem Enkel Rudolf, Max Feldstein, Hilde Epstein (Tochter von Anna Behrens)

(Fotos von Ralph Epstein zur Verfügung gestellt)

Die Feldsteins waren eine alteingesessene Kasseler Familie, die bereits im 18. Jahrhundert in der Stadt ansässig war. Ihre Geschichte spiegelt beispielhaft den Weg, den viele Angehörige der jüdischen Minderheit vor dem Hintergrund der Veränderungen im 19. Jahrhundert einschlugen. Der 1755 in Kassel geborene Urgroßvater von Max Feldstein, Meyer Jacob (Feldstein), erscheint in zeitgenössischen Dokumenten noch als „Trödler“ - in einer Contributionsliste auch als „Makler“ - und führte damit ein Leben, wie es die Beschränkungen für Juden in dieser Zeit vorgaben. Sein Sohn Abraham nutzte die Chancen, die die beginnende Emanzipation der „bürgerlichen Verbesserung“ der Juden bot, ergriff den handwerklichen Beruf des Schneiders und erscheint bereits früh als Hof-Kleidermacher. Sein Enkel Max sollte schließlich Mitinhaber einer Uniformfabrik werden.

Max Feldstein wurde am 12. Dezember 1861 als Sohn von Moritz Feldstein und Johanna Katzenstein geboren. Neben einem Bruder, der schon bei oder kurz nach der Geburt gestorben war, hatte er die Geschwister Sally (1863-1928), Otto (1870-1944), Anna (1872-1942) und Ernst (1874-1937). Er heiratete 1890 Fanny Katzenstein, die Tochter von Eduard Katzenstein und Johanna geb. Sterner. Beide Familien waren offenbar auch geschäftlich miteinander verbunden. Aus der Ehe ging noch im gleichen Jahr die Tochter Ella hervor, die 1915 den Kasseler praktischen Arzt Dr. Eduard Mosbacher heiratete.

Die meisten Mitglieder der Familie betätigten sich erfolgreich der Familientradition entsprechend im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Kleidung. So erscheint Max Feldsteins Vater Moritz (1824-1897) in Adressbüchern als Inhaber einer Firma für „Civil- und Militärgarderobe“. Der Bereich der Uniformen war dann offenkundig derjenige, in dem die Familie den größten Erfolg hatte - und zwar gemeinsam mit Angehörigen der Familie Berger, die auch bereits 1850 als Halter eines Garderobe-Magazins genannt wird. Die Firma Feldstein & Berger erscheint auf einer Ehrentafel im Adressbuch des Jahres 1930 als ein seit 1868 bestehendes Unternehmen. Es hatte wohl spätestens seit den 1870er Jahren seinen Sitz in der Großen Rosenstraße 24 und profitierte offenbar vor allem von Aufträgen für die Belieferung u. a. der Eisenbahn, der Post oder der Großen Casseler Straßenbahn AG mit Dienstbekleidung. Mindestens von 1873–1882 arbeiteten auch Insassen der Kasseler Strafanstalt für das Unternehmen, das sich noch in den 1870er Jahren als Königliche Hoflieferanten bezeichnete.

Briefköpfe von Feldstein & Berger 1876 und 1927

Max Feldstein wurde wahrscheinlich um die Jahrhundertwende zum Teilhaber und dann Inhaber der Firma, deren Gesellschafter nach dem Ersten Weltkrieg um Angehörige der Familie Weis aus Wiesbaden und Mainz erweitert wurde. Ende der 1929er Jahre war Feldmann & Berger schließlich Teil der Aktiengesellschaft „Vereinigte Uniformaktiengesellschaft Mohr & Speyer, Jacob Weis. Feldstein & Berger“. Das Unternehmen in der Großen Rosenstraße firmierte nun als deren Zweigniederlassung Kassel, Max Feldstein gehörte dem Aufsichtsrat dieser AG an. Die Ausgrenzung, die geachtete jüdische Bürger bereits früh erfuhren, wird in einem Schreiben deutlich, das er im Oktober 1933 an den Kasseler Museumsverein richtete, in dem er eines der ersten Mitglieder war: "Als Nichtarier fühle ich mich gezwungen, hierdurch meinen Austritt aus Ihrem, von mir hochgeschätzten Vereine, zu erklären. Ich bedauere dies umsomehr, als ich schon seit langen Jahren die Ziele und Bestrebungen Ihres Vereins stets gern und freudig unterstützt habe.

Hochachtungsvollst

Max Feldstein

Im gleichen Jahr verkauften er und sein Bruder Ernst ihre Aktien an die Brüder Weis. Max Feldstein schied aus dem Aufsichtsrat aus und erhielt eine vertraglich vereinbarte lebenslange Pension von 750 RM, die nach seinem Tod in Höhe von 625 RM an seine Witwe weitergezahlt werden sollte. Vermutlich 1937 wurde die Uniform-Aktiengesellschaft zwangsverkauft. Max Feldstein musste im Juli 1939 das ihm gehörende Grundstück in der Großen Rosenstraße „unter dem Zwang der Verhältnisse an den Kaufmann Georg Knauff“ verkaufen, wie es in einem behördlichen Schreiben aus der Nachkriegszeit heißt.

Das Ehepaar wohnte von 1904 bis 1933 in der Olgastraße 11, zog wenige Monate nach dem Beginn der NS-Herrschaft und dem Verkauf des Firmenanteils in die Hohenzollernstraße 233 und zuletzt nach den Novemberpogromen 1938 in die Ruhlstraße 2. Trotz des staatlich legitimierten Raubs – z. B. durch die Zwangsabgabe an wertvollem Schmuck und die Judenvermögensabgabe - waren Max und Fanny Feldstein auch 1940 noch vermögend, wie aus einer eigenhändigen Aufstellung von Max Feldstein hervorgeht. Neben der Pension und Mietzahlungen von zwei Untermietern konnte er Zinsen von einem beträchtlichen Bankkonto auf seinem allerdings nur beschränkt verfügbaren Sicherungskonto verbuchen.

Aus der Devisenakte von Max Feldstein im HHStAW
Aus der Devisenakte von Max Feldstein im HHStAW

Am 8. Mai 1941 erhielt das Ehepaar Feldstein um 19.00 Uhr abends ungebetenen Besuch. Gestapo und in ihrem Gefolge Beamte der Zollfahndungsstelle durchsuchten ihre Wohnung nach Bargeld und Wertgegenständen. Bei einer Vernehmung wenige Tage später auf der Zollfahndungsstelle warf man Max Feldstein vor, Folgendes gefunden zu haben:

„10 Besteckteilchen, anscheinend aus Silber

1 Serviettenständer, anscheinend aus Silber

1 alte Silbermünze von M 2.- und

1 goldener Drehbleistift“.

Zudem habe Max Feldstein 45,63 RM, die sich in seiner Wohnung befanden, verheimlicht. Wiederum wenige Tage später legte man ihm nahe, dies im Rahmen einer Unterwerfungsverhandlung mit einer Strafe von 100 RM zuzugeben. Max Feldstein lehnte ab. So kam es zu einem „beschleunigten“ Strafverfahren. Der Anklage am 29. Juli folgte die Verhandlung vor dem Amtsgericht, an deren Ende der Beschuldigte erstaunlicher Weise freigesprochen wurde. Das Gericht begründete den Freispruch formal. Max Feldstein sei nicht aufgeklärt worden, dass er neben der Gestapo auch Beamten der Zollfahndungsstelle gegenüber gestanden hätte.

Es kann vermutet werden, dass es sich um eine Rache der Gestapo handelte, wenn sie am 21. Oktober Max Feldstein in Breitenau inhaftieren ließ, wo er nach 10 Tagen am 31. Oktober wieder entlassen wurde.

 

Am 12. November 1941 beantragte Max Feldstein noch bei der Devisenstelle, einige medizinische Fachbücher seinem Schwiegersohn Dr. Eduard Mosbacher nach Belgrad schicken zu dürfen. Vergeblich. Drei Tage später, am 15. November 1941, wurden Fanny und Max Feldstein gemeinsam in ihrer Wohnung tot aufgefunden. In den Sterbeurkunden heißt es: „Selbstmord durch Leuchtgasvergiftung. Motiv: Lebensüberdruß.“ Die Gestapo beschlagnahmte sofort die Wohnung, stellte alle auffindbaren Vermögenswerte sicher und zog das Vermögen zugunsten des Deutschen Reichs mit der Begründung ein „dass die „Bestrebungen des vorgenannten Juden Max Israel Feldstein volks- und staatsfeindlich gewesen sind.“

(Die Abbildung rechts zeigt eine Seite aus der Häftlingsakte von Max Feldstein im Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes.)

 

 

 

Die Familie

 

Max Felsteins Schwester Anna hatte 1891 den aus der Nähe von Magdeburg stammenden, 1857 geborenen Kaufmann Gustav Behrens geheiratet. Aus der Ehe gingen die Kinder Hermann (1891) und Hildegard (1899) hervor. Bereits 1902 wurde Anna Witwe und lebte allein als Rentnerin, zeitweise wohl bei ihrem Bruder Sally, der in der Theaterstraße eine Schneiderei und Garderobegeschäft führte, in dem auch ihr Schwiegersohn Harry Nathan Epstein als Zuschneider tätig war. Als Sally Feldstein 1928, starb ging das Geschäft an Anna Behrens über, die es aber bereits 1934 angesichts der Boykottmaßnahmen an einen Angestellten verkaufen musste. Während ihre Kinder rechtzeitig das Land verlassen konnten, blieb Anna Behrens in Kassel. Sie wurde Opfer der letzten Deportation von Kassel nach Theresienstadt am 7. September 1942 und starb dort am 26. September 1942. Für sie wird gleichfalls ein Stolperstein verlegt.

Der Erinnerung an Max‘ Bruder Otto ist ein Stolperstein in Woltersdorf bei Berlin gewidmet. Durch die freundliche Hilfe dortiger Lokalhistoriker/innen wurde es möglich, seine Biografie in den Grundzügen aufzuklären. Als einziger unter den Geschwistern hatte er Kassel verlassen und war in Berlin als Militäreffektenhändler tätig, als er 1897 die 1868 in Königsberg geborene evangelische Hedwig Petitjean heiratete. Aus der Ehe gingen die Kinder Gotthold und Erwin (beide 1898) sowie Irma (1903) hervor. Erwin fiel 1917 im Alter von 18 Jahren im Ersten Weltkrieg in Nordfrankreich und auch der zweite Sohn, der Ingenieur Gotthold Feldstein, starb bereits 1922 im Alter von nur 24 Jahren. Zu dieser Zeit wohnte die Familie bereits in Woltersdorf bei Erkner im Kreis Niederbarnim in der Nähe von Berlin und Otto Feldstein wird als Kaufmann bezeichnet. Als seine Frau Hedwig 1937 im Alter von 69 Jahren starb, war Otto im Ruhestand mit der Berufsbezeichnung „ehemaliger Versicherungsvertreter“.

Noch 1939 wird er als Hausbesitzer geführt, musste gleichwohl aber für ein Zimmer und Kochgelegenheit im eigenen Haus 16.- RM Miete zahlen. 1943 verhaftete ihn die Gestapo und brachte ihn in das Altersheim bzw. Sammellager in der Großen Hamburger Straße in Berlin. Das war die Vorbereitung seiner Deportation von Berlin mit dem Transport I/106, nr. 14391 am 21. Januar 1944 nach Theresienstadt, wo er am 11. Oktober 1944 starb.

Max‘ und Fannys Tochter Ella Mosbacher war bereits im Oktober 1933 mit ihrem Mann Dr. Eduard Mosbacher nach Belgrad gegangen. Dort bot sich dem Arzt die Möglichkeit, am jüdischen Krankenhaus zu praktizieren, während in Berlin jüdische Ärzte bereits früh in ihrer Berufsausübung eingeschränkt wurden und zahlreiche von ihnen zur Emigration gezwungen waren. Zum Zeitpunkt des Todes des Ehepaars Feldstein lebten Ella und Eduard Mosbacher noch in Belgrad. Ihr weiteres Schicksal ist bis heute nicht aufgeklärt.

 

Wolfgang Matthäus

Mai 2022

 

Quellen und Literatur

 

Stadtarchiv Kassel

A5.55 (Entschädigungsakten) | Meldekarten | B13 119 u. 129 | S13 Buchstabe F, 6

HStAM

Best. 251 Kassel Nr. 356

Archiv des Landeswohlfahrtverbandes (LWV)

K2 518 (Häftlingsakte Max Feldstein)

HHStAW

518 62963 u. 62964 (Entschädigungsakten | 519/3 35691 u. 35787 (Devisenakten)

Adressbücher Kassel

Bundesarchiv

Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in

Deutschland 1933 - 1945

Helmut Thiele, Die jüdischen Einwohner zu Kassel (verfügbar im Internet)

Frank-Matthias Mann, Jüdische Häftlinge in Breitenau, in: Helmut Burmeister/Michael Dorhs, Juden – Hessen – Deutsche, Hofgeismar 1991

Lothar Löbel, Anny Przyklenk, Siegfried Thielsch, Spurensuche. Schicksale jüdischer Mitbürger in Woltersdorf, Woltersdorf 2011

Joachim Schröder, Der Musuemsverein für Hessen-Cassel 1903-1927 und der Kasseler Museumsverein 1927-1947

Mitteilungen von Lothar Löbel und Anny Przyklenk (Woltersdorf), die auch wichtige Dokumente zur Verfügung

stellten.

Mitteilungen von Vicki und Ralph Epstein (Australien)

 

 

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