Jenny und Lemann Katz

Kurt, Gerda und Ursula Bertha Katz

Friedrich-Ebert-Straße 8 (früher Hohenzollernstraße)

 

Die vier Kinder der Familie KATZ haben ganz unterschiedliche Schicksale erlitten:

Das älteste Kind Berta, geboren am 12.2.1920, starb schon zwei Tage nach seiner Geburt.

Tochter Gerda, geboren am 24.11.1921, konnte mit 17 Jahren vermutlich mit einem Kindertransport nach England entkommen.

Sohn Kurt geboren am 14.4.1928, Tochter Ursula Bertha, geboren am 8.12.1928 wurden mit ihren Eltern am 9.12.1941 von Kassel ins Ghetto Riga und später ins KZ Stutthof deportiert. Kurt überlebte und konnte 1948 nach Israel auswandern. Seine jüngere Schwester und die Eltern wurden ermordet

Passfoto der Kennkarte (StadtA KS)
Passfoto der Kennkarte (StadtA KS)

Mutter Jenny KATZ geb HERTZ wurde am 21.4.1989 in Warendorf, Westfalen geboren. Ihre Eltern waren der Handelsmann Levi und Flora HERTZ, geb. Gumberich. Ihre jüngere Schwester Else, geboren 1890 wanderte später nach Argentinien aus.

 

Die Jüdische Gemeinde in Warendorf bestand in ihrer wechselvollen Geschichte vom 14. Jahrhundert bis 1941. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts war sie für etwa 150 Jahre trotz einiger Pogrome eine der bedeutendsten Landgemeinden im Münsterland und stellte den Landesrabbiner. Anfang des 19. Jahrhunderts reichte die soziale Stellung in der Gemeinde von Knechten und Mägden über Trödler und Hausierer bis zu wohlhabenden Tuchhändlern. 1812 wurde ihnen mit dem ‚Preußischen Judenedikt‘ die rechtliche Gleichstellung zugebilligt. Ab 1845 mussten sie statt der bisher üblichen Vaternamen neue Nachnamen annehmen. Einen Betsaal gab es bereits 1649, ab 1709 eine Synagoge, die später erweitert wurde. 1833 gab 99 Gemeindemitglieder, danach wurden es weniger.

 

In der NS-Zeit kam es bald zu offenem Antisemitismus und massivem Boykott. Bis 1938 waren alle jüdischen Geschäfte geschlossen oder "arisiert", auch die Viehhandlung von Hugo Spiegel, dem Vater von Paul Spiegel, dem späteren Präsidenten des Zentralrats der Juden. In der Reichsprogromnacht 1938 wurden auch die Synagoge, der alte und der neue Friedhof verwüstet. 39 jüdische Warendorfer wanderten dann aus. Die Übrigen wurden 1941 in einem Judenhaus zusammengepfercht, ehe sie ins Ghetto Riga deportiert wurden – niemand überlebte.

Ab 1990 entwickelte sich durch Zuzug aus dem Osten wieder eine jüdische Gemeinde.

Die Abbildung zeigt das Mohelbuch des Landrabbiners Michal Meyer Breslau aus Warendorf (um 1770). In diesem Buch wurden die Beschneidungen aufgelistet.

Passfoto der Kennkarte (StadtA KS)
Passfoto der Kennkarte (StadtA KS)

Vater Lemann KATZ, Sohn des Handelsmannes Daniel KATZ und Ehefrau Bertha KATZ, geb. Lange. wurde am 25.12.1886 in Beiseförth bei Malsfeld geboren. Später wurde er Kaufmann und Polsterer und galt als wohlhabend

 

In Beiseförth gab es seit 1542 gelegentlich Juden. Erst im 18. Jahrhundert gab es in der Gegend dann genügend jüdische Männer für die Kahilla (Kultusgemeinde). Nach einem Betraum gab es seit 1853 eine Synagoge, eine Mikwe (rituelles Bad) und von 1842 -1884 auch eine jüdische Schule. Für einen Rabbi reichten die Mittel nicht. Deshalb war der Lehrer auch Vorbeter und Schochet (Schlachter). Der jüdische Friedhof (1694 bis 1927, 256 Grabsteine) ist der älteste in Nordhessen. Im November 1938 wurde auch er verwüstet. 1861 waren von 779 Einwohnern 10 % Juden, 1925 von 766 nur noch knapp 3 %.

Nach 1933 versuchte man ins sichere Ausland zu entkommen (auch mit Kindertransporten). Etwa 20 Beiseförther Juden wurden Opfer der Shoa. - Gunter Demnig verlegte dort die ersten Stolpersteine am 1.6.2012.

 

 

Lemann KATZ lebte seit 1905 in „Cassel“, zunächst in der Gießbergstr. 3. 1906 zog er dreimal ortsnah um, zuletzt in die Moltkestr. 4. Vom Militärdienst im Sommer 1918 zurück, wohnte er einige Monate in der Obersten Gasse, schließlich Königstor 56.

Lemann und Jenny KATZ, geb. HERTZ heirateten am 18.11.1919 in Warendorf, ihrer Geburtsstadt. Seit 1.12.1919 wohnten sie in Kassel, zunächst bis Nov. 1926 in der Weißenburgstr. 5, dann 6 Jahre Königstor 56. In dieser Zeit wurden ihre 4 Kinder geboren: 1920 Berta, die nach 2 Tagen starb, 1921 Gerda, die nach England entkam, 1925 Kurt, der Ghetto und KZ überlebte und nach dem Krieg nach Palästina auswanderte und 1928 Ursula Bertha, die mit den Eltern ermordet wurde..

Ab 1932 lebte die Familie mit ihren 3 Kindern in der Hohenzollernstraße, heute Friedrich-Ebert-Str.8.

Der Beginn der Hohenzollernstraße vor dem 2. Weltkrieg mit dem Haus Nr. 8 (roter Pfeil) (Stadtmuseum Kassel)

In der Nazizeit konnte Gerda 1939 nach England entkommen. Die Eltern mussten am 2.9.1939 mit Kurt und Ursula Bertha in die Gießbergstr. 2 umziehen und am 8.4.1941 noch für 8 Monate in die Schillerstr. 7. Am 9.12.1941 wurden sie zu viert in das Ghetto Riga deportiert und erlitten unterschiedliche Schicksale.

Am 9.8.1944 – also 3 Jahre später, waren die schon verwitwete Mutter Jenny KATZ und die jüngste Tochter Ursula Bertha noch im KZ Stutthof registriert worden. Vater Lemann KATZ war zuvor bereits Opfer der NS geworden. Genaueres ist nicht bekannt. 1962 wurden Jenny und Lemann KATZ rückwirkend „zum 31.12.1945 für tot erklärt“.

Am 10.8.1944 war Sohn Kurt ebenfalls in Stutthof eingewiesen worden, einen Tag nach seiner Mutter und Schwester. – Aber er hat das KZ überlebt, denn laut Amerikanischen Komitee der „Belsen Company“ ist er „am 5.5.1948 nach Palästina ausgewandert“. Dort verliert sich seine Spur.

Ghetto Riga und KZ Stutthof.

Tochter Gerda, in der NS-Zeit schulisch aus dem Tritt geraten, musste 1935 eine „Höhere Mädchenschule“ verlassen. In der jüdischen Volksschule war sie unterfordert. 1938 nahm sie dann nach einem Haushaltskurs an einem 8-wöchigen Diätkochkurs im Frankfurter Jüdischen Krankenhaus teil. Als sich die Lage verschärfte, wurde 1939 ihre Auswanderung vorbereitet. Am 31.5.1939 wurde in Kassel ihr Pass ausgestellt. Im August 1939 kam sie - gerade noch 17jährig – wohl mit einem Kindertransport - nach England und wurde dort am 14.9.1939 registriert (British Aliens Certificate of Registration – s.o.).

1940 heiratete sie in Bidford, County of Devon, mit 18 Jahren Max ADLER, geboren 19.12.1916 Nürnberg. Sie kannten sich wahrscheinlich schon in Kassel, wo er in der Polsterei KATZ, Gießbergstraße (der ihres Vaters?) gearbeitet hatte. 1943 wurde der Ehename ADLER offiziell in ASHLEY geändert. 1947 wurde sie „als Flüchtling durch Nazi- Unterdrückung“ (Refugee from Nazi Oppression) anerkannt und erhielt die britische Staatsangehörigkeit.

Ihren Entschädigungsantrag begründet sie 1957 damit, dass sie wegen familiärer Verpflichtungen für ihre Tochter (nähere Angaben fehlen) und ihrer inzwischen schlechten Gesundheit weder eine Ausbildung machen noch eine Berufstätigkeit ausüben konnte. Zudem sei der Verdienst ihres Mannes, Angestellter in einer Plastikfabrik „nur beschränkt“. Da lebte die Familie im County Durham. Nach dem Tod ihres Mannes John Michael ASHLEY (früher Max ADLER), lebte sie verwitwet von 1967 bis 1978 allein. In 2. Ehe heiratete sie Mr. HEYMANN (keine näheren Angaben). Dann verliert sich in London ihre Spur.

 

 

Quellen und Literatur

 

„Namen und Schicksale der Juden Kassels“, bearbeitet von B. Kleinert und W. Prinz, Hrsg. Stadt Kassel 1986

Stadtarchiv Kassel, Hausstandsbuch Bestand A 3.33/2. Bestand A 3.33 (Kennkarten)

Standesamt Warendorf

Standesamt Malsfeld

Arolsen Archives https://collections.arolsen.archives.org/de/documents1120147

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HHStAW Bestand 518 Nr.71669 und 64305 (Entschädigungsakten)

Wikipedia: „Jüdische Gemeinde Warendorf“

Wikipedia: „Jüdische Gemeinde Beiseförth“

 

 

Gudrun Schmidt

Oktober 2024

Verlegung am 17.10.2024

 

 

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