Der Kaufmann Johannes Walter wurde im 1.Weltkrieg schwer verwundet (Oberschenkel, Arm, Hinterkopf). Seitdem war er stark gehbehindert und als Folge der Kopfverletzung leicht erregbar. Dass er Antimilitarist, Katholik und Gegner des Naziregimes war, konnte er nicht verbergen und zog sich deshalb den Hass seiner Umgebung zu. Wiederholt wurden ihm und seiner Frau von Hausbewohnern und Nachbarn gedroht, schließlich wurde Johannes Walter bei der Polizei denunziert.
Im Juli 1944 zog die Wehrersatzdienststelle der Polizei den schwer behinderten Mann zum Luftschutzdienst ein. Als er verschiedenen Dienststellen gegenüber seine Dienstuntauglichkeit geltend machte, schikanierte man ihn so lange, bis er in Zorn geriet und sich zu offenkundig sehr weitgehenden politischen Äußerungen hinreißen ließ. Jetzt gab es endlich Gründe für eine Verhaftung (11.10.1944).
Wenige Tage später kam es zur Verhandlung vor dem Kasseler SS- und Polizeigericht. Erst dort erfuhr Walter, dass er wegen „Kriegsdienstverweigerung“ (!) und „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt war. Seine Frau durfte an der Verhandlung nicht teilnehmen. Nach kurzem Prozess wurde er zum Tode verurteilt. Frau Walter wendete sich sofort an höchste SS-Stellen in Kassel und fuhr selbst nach Berlin zum Hauptquartier der SS, um das Todesurteil rückgängig zu machen. Auch ihren Bruder, einen Hauptmann der Wehrmacht, schaltete sie ein, und es gelang ihnen tatsächlich, die Vollstreckung des Todesurteils vorläufig auszusetzen.
Als in den letzten Märztagen des Jahres 1945 die amerikanischen Truppen in die Nähe Kassels vorgedrungen waren, musste über das Schicksal aller in Kassel Inhaftierten entschieden werden. Der Wehrmachtkommandant entschloss sich, die ihm unterstellten Gefangenen, darunter auch zum Tode verurteilte, „abrücken“ zu lassen, sie tatsächlich aber in die Freiheit zu entlassen.
Der Polizeipräsident und der Kommandeur des Einsatzkommandos der Schutzpolizei entschieden jedoch, die Todesurteile gegen zwei im Gefängnis Leipziger Straße einsitzende Häftlinge – einer davon Johannes Walter – müssten vollstreckt werden. Der damit beauftragte Beamte hätte sich am liebsten geweigert, gehorchte schließlich und bat um einen Begleiter. Argument des Vorgesetzten: Einer muss den Befehl doch ausführen!
In der Nacht des 1. April 1945 holten sie Johannes Walter gegen 4.00 Uhr aus seiner Zelle und brachten ihn zusammen mit einer Frau, die ebenfalls liquidiert werden sollte, in den hintersten Gefängnishof. Als er erkannte, was sie mit ihm vorhatten, drehte Walter sich um und lief zurück zur Pforte. Der Polizist verfolgte ihn und tötete ihn mit mehreren Schüssen in Rücken und Hinterkopf. Anschließend wurde er im Gefängnishof verscharrt. Die Frau ließen sie am Leben.
Im Frühjahr 1949 kam es zum Prozess gegen den Schützen, und die Überlebende schilderte als Zeugin den Tathergang. Die Täter wurden wegen Totschlags zu geringen Gefängnisstrafen verurteilt.
(Zusammenfassung aus dem Buch von J. Kammler „Ich habe die Metzelei satt und laufe über“, S. 122 bis S. 127)
Ulrich Restat 2014