Josef Zunterstein

Große Rosenstraße 20 (früher 22)

Fotos von Carl Eberth am Morgen des 8. November 1938, die die  Verwüstungen durch das Pogrom am Abend zuvor am jüdischen Gemeindezentrum in der Großen Rosenstraße 22  (links) zeigen. (StadtA Kassel)

 

Im März 1941 werden 4 jüdische Kinder im Alter zwischen 7 bis 14 Jahren in das jüdische Gemeindezentrum in der Großen Rosenstraße 22 eingewiesen. Sie stammten aus unterschiedlichen Orten des damaligen Sudetenlandes. Zwei Jungen und zwei Mädchen. Neben Josef Zunterstein sind es Gertrud Pötzl 10 Jahre, Gerta Müller 7 Jahre und Wilhelm Leo Gronowetter 14 Jahre. Die 3 sind einige Monate später in die jüdische Gartenbauschule Ahlen bei Hannover weitergeschickt worden. Dagegen ist Josef am 7. September 1942 von Kassel aus mit 320 anderen Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und im Frühjahr 1945 ermordet worden.

 

Josef ist am 16. Juni 1927 in Erpuzice (deutsch Welperschitz) Tschechoslowakei geboren. Der Ort liegt etwa 40 km westlich von Pilsen. Er hatte 1930 etwa 180 Einwohner, heute sind es 350. Seine Eltern waren Friedrich und Sofia Zunterstein, die 1925 in Pilsen geheiratet haben und in Erpuzice Eigentümer der Häuser 24 und 25 waren. Dort haben sie auch gewohnt. Nach der Besetzung und Annektion des Sudetetenlandes durch Nazideutschland 1938 haben sie wie die übrigen knapp 30000 Juden des Sudetenlandes die erste Welle der Judenverfolgung nach dem Anschluss erfahren müssen. Unter diesen Verhältnissen ist Vater Friedrich nach Pilsen gezogen und dort 1939 im Alter von 45 Jahren gestorben. Mutter Sofia und Sohn Josef haben weiter in Erpucize gelebt. Mit der Zerschlagung der Rest Tschechoslowakei und der Einrichtung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 ist dann die Judenverfolgung auf das ganze Land ausgedehnt worden. Beide Häuser wurden unter dem Druck der rassistischen Verfolgung in den Jahren 1940/1942 verkauft. Dabei hat auch Josefs Vormund Rechtsanwalt Oswald mitgewirkt. Mutter Sofia ist am 29. Januar 1942 in Erpucize (Welperschitz) gestorben. Vorher muss aber eine Trennung zwischen Mutter und Sohn erfolgt sein, wobei die Ursache ungeklärt bleibt.

Fast 1 ½ Jahr bleibt Josef Zunterstein in der Großen Rosenstraße 22. Aus dem jüdischen Gemeindezentrum mit Schule und Altersheim ist ab 1940 ein Judenhaus geworden, in dem zeitweilig über 70 Menschen von der Gestapo eingewiesen wurden. Wie sich Josefs Leben dort gestaltete, ist nicht überliefert. Alle Bewohner sind am 7. September 1942 über die Turnhalle Schillerstraße mit dem letzten Transport nach Theresienstadt deportiert worden. Die Transportliste enthält 752 Namen, davon 38 Kinder und Jugendliche. Ein halbes Jahr später werden die zurückgelassenen Habseligkeiten Josefs vom Auktionshaus Krell in der Waschküche des Nachbarhauses Rosenstraße 24 erfasst und geschätzt. (Stadtarchiv Kassel A 3.30 Nr. 206) Josef kam nach Theresienstadt als dort die Zahl der Häftlinge ihren höchsten Stand erreichte. Innerhalb der ehemaligen Kasernen drängten sich etwa 58 500 Männer, Frauen und Kinder zusammen. Mit dem Raum, der früher für eine Person bestimmt war, mussten sich nun mehr als acht Häftlinge begnügen. Die durchschnittliche Wohnfläche für einen Häftling betrug 1,4 Quadratmeter. Neben der räumlichen Enge waren der Hunger und die hygienischen Bedingungen Ursachen für die hohen Sterberaten. Aber Theresienstadt war kein Vernichtungslager.

Zeichnungen von Bedřich Fritta aus dem Ghetto Theresienstadt. Er wurde in Auschwitz ermordet.

 

Die Kinder im Theresienstädter Ghetto bildeten eine ganz besondere Kategorie der Häftlinge - hilflos, sensibel und umso verletzlicher. Die Selbstverwaltung des Ghettos bemühte sich, für sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas erträglichere Bedingungen in der Unterkunft, bei der Verpflegung und im Allgemein zu schaffen. Hilfsbereite Mithäftlinge kümmerten sich um ihre alltäglichen Bedürfnisse sowie um eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Insgesamt gab es unter den Häftlingen des Ghettos mehr als 10 500 Kinder. Etwa 400 von ihnen starben in Theresienstadt, für die meisten von ihnen entschied jedoch die Einreihung in Transporte in die Vernichtungslager im Osten über ihr Schicksal. Dort kamen etwa 7500 der jüngsten Opfer der „Endlösung der Judenfrage“ um. Zwei Jahre ist der Junge im Konzentrationslager Theresienstadt inhaftiert. Es gibt keine auf ihn bezogenen Angaben über Arbeitseinsätze oder Krankheiten. Am 28. September 1944 geht er auf Transport ins Vernichtungslager Auschwitz. Im Zusammenhang mit dieser Verlegung ändert sich sein Geburtsjahr 1927 in 1925, d.h. aus einem 17-Jährigen wird ein 19-Jähriger. Es hat ihn wahrscheinlich davor bewahrt ins Gas geschickt zu werden. Wie das bewirkt worden ist bleibt offen.

Die Kriegslage hat sich für Hitlerdeutschland dramatisch verschlechtert, in der Rüstungsindustrie mangelt es überall an Arbeitskräften. Deshalb werden auf Befehl der Naziführung die Arbeitsfähigen statt in den Tod zur Zwangsarbeit ins Reich geschickt. So wird er am 10. Oktober 1944 in der Lagerkartei von Dachau unter der Nummer 115907 als jüdischer Schutzhäftling aus Kassel im Alter von 19 Jahren registriert. Der auf der Karteikarte eingetragene Hinweis „Kaufer“ gibt Auskunft, dass er im Dachauer Außenlager Kaufering in der Nähe von Landsberg am Lech gelandet ist. DocID 5103846 (JOSEF ZUNTERSTEIN) - Transportkarte DocID 10788397 (Josef ZUNTERSTEIN) – Dachau Lagerkartei Im Rahmen des Luftrüstungsprojekts sollten dort drei gigantische halbunterirdische Bunker für die Flugzeugproduktion des Düsenjägers Messerschmitt Me 262 im Frauenwald in Landsberg entstehen. Ab Juni 1944 wurden Juden aus dem KZ Auschwitz und anderen Lagern nach Kaufering überstellt und zu Bunkerbauarbeiten gezwungen. Die meisten mussten in primitivsten Erdhütten schlafen. In nur zehn Monaten kamen nach Schätzungen aus der Nachkriegszeit mindestens 14.500 Häftlinge durch Hunger, Seuchen, Hinrichtungen sowie Todesmärschen ums Leben. Der Leidensweg des Jungen geht weiter. Im Januar 1945 wird er in das Außenlager Leitmeritz des Konzentrationslagers Flossenbürg geschickt. Leitmeritz liegt unweit von Terezin im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren. Auch dort wurde unterirdisch Rüstungsproduktion betrieben. Hier ist Josef Zunterstein infolge unmenschlicher Arbeits- und Lebensbedingungen am 6. Februar 1945 gestorben. Es gibt kein Grab.

Jochen Boczkowski, November 2023

 

Quellen

Stadtarchiv Kassel - Meldeakten und Hausstandsbücher

arolsen archives

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/

https://www.holocaust.cz/ueberleben-in-theresienstadt/

wikipedia zu Außenlagern Kaufering und Leitmeritz

Auskunft Staatliches Bezirksarchiv Tachov, CZ vom 3.5.2022 zus. mit Katasteramt Tachov, Bezirksarchiv Pilsen und Amtsgericht Stribro

Auskunft Nicole Toedtli, Stadtarchiv Kassel vom 23.03.202

 

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