Julius Hochgräfe wurde am 14. Februar 1891 in Vöhl (Krs. Frankenberg) geboren. Im Elternhaus von Julius Hermann und Kunigunde Hochgräfe wuchs er mit seinen Schwestern Emma und Sophie auf. In Vöhl besuchte er bis zur achten Klasse die Grundschule. Er war körperlich sehr stark eingeschränkt, da er sich mit 2 Jahren eine Wirbelsäulenverletzung zuzog, die seinerzeit nicht operativ versorgt werden konnte. Dadurch kam es zur Rückgratverkrümmung und einhergehend zu Wachstumsstörungen. Sein Neffe Alex Müller aus Bautzen, der letzte lebende Verwandte beschrieb ihn als dennoch lebensfrohen Menschen, der nie seine Gebrechlichkeit beklagte. Seine Körpergröße wird in allen Dokumenten mit 152 - 153 cm angegeben. 1907 zog er nach Kassel in die Ottostraße und begann eine Lehre als Klaviermacher bei der Piano-Forte Fabrik Carl Scheel in Kassel, bildete sich dann weiter bei Hupfeld in Leipzig und bei Welte & Söhne in Freiburg. 1915 zog er mit seiner Schwester Sophie in das Haus in der Tannenstraße 15. In den 20ern begann er eine selbständige Tätigkeit als Klaviertechniker. Sein politisches Interesse galt seinerzeit der Sozialdemokratie. Sein Ruf als ausgezeichneter Klavierstimmer führte ihn in große Konzertsäle des ganzen Landes.
Julius Hochgräfe mit seiner Schwester Sophie (r.) und Minna Mühlhausen (l.) (Foto von Chr. Koch)
Emma Müller geb. Hochgräfe, Schwester von Julius
Etwa im Jahre 1922 begann er sich für die Arbeit der Gemeinde der Bibelforscher (seit 1931 Jehovas Zeugen) in Kassel zu interessieren, und wurde schließlich 1924 getauft. Besonders in der Zeit nach dem Verbot des Jahres 1933 wurden seine Dienste für das Weiterführen der Gemeindearbeit unter den schwierigen Bedingungen immer wichtiger. In einem Bericht aus jener Zeit (etwa 1933) erzählt von Arthur Winkler, der einen Koffer mit Schriftgut nach Kassel bringen wollte, heißt es: „In Kassel angekommen, sagte mir der Versammlungsdiener, Bruder Hochgräfe: ,Du kannst hier nicht bleiben. Du mußt sofort die Wohnung wieder verlassen, denn seit acht Tagen besucht mich jeden Morgen die Gestapo.‘ Wir vereinbarten, daß er fünfzig Meter vor mir vorausgehe, um mir auf diese Weise den Weg zu dem Ort zu zeigen, wo ich die Literatur lassen könnte. Kaum waren wir zweihundert Meter auf der Straße, auf der schönen Kastanienallee, gegangen, als uns auch schon die dem Versammlungsdiener gut bekannten Gestapobeamten entgegenkamen. Da ich etwa fünfzig Meter hinter dem Versammlungsdiener herkam, konnte ich gut beobachten, wie sie ihn hämisch angrinsten, aber sie hielten ihn nicht auf. Wenige Minuten später war wieder einmal die Literatur in Sicherheit gebracht worden, durch die die Brüder im Glauben gestärkt werden sollten.“ (a)
Julius Hochgräfe war tatsächlich sehr früh in das Visier der Gestapo gelangt. Bereits 1934 wurde er für mehrere Wochen inhaftiert. Der Leidensweg begann im Dezember 1936, nachdem er sich am Abend des 12. Dezember 1936 an einer geheimen Flugblatt Aktion, die sich gegen das NS-Regime richtete, beteiligt hatte. Zunächst kam er in Untersuchungshaft, danach wurde ihm und 4 weiteren Gemeindemitgliedern vor dem Sondergericht des OLG Kassel unter Richter Hassencamp der Prozess gemacht. Die Urteilsverkündigung sah für ihn ein Strafmaß von 4 Jahren und 6 Monaten vor. Damit wurde er neben den weiteren Mitangeklagten Zeugen Jehovas am höchsten bestraft. Die Begründung lautete:
Staatsfeindlichkeit mit staatszersetzender Wirkung, Wehrdienstverweigerung und Verweigerung des „Deutschen Grusses“.
Wörtlich heißt es: „Für das Aufrechterhalten …hat sich in Kassel vor allen Dingen der Angeklagte Hochgräfe eingesetzt… Er ist der geistige Mittelpunkt des ganzen Treibens in Kassel gewesen. Ohne die rührige Tätigkeit des Hochgräfe wäre wohl die Aufrechterhaltung der Organisation nach dem Verbot kaum möglich gewesen…Der verbrecherische Wille des Hochgäfe ist aber auch deshalb als besonders stark anzusehen, weil Hochgräfe sein Treiben auch dann noch fortgesetzt hat, nachdem er 1934 eine 3-wöchige Schutzhaft verbüßt hatte.“ (b)
Julius durchlief, ausgehend vom Strafgefängnis Kassel-Wehlheiden eine wahre Odyssee an Gefängnisaufenthalten. Am 19. Mai 1937 wurde er in das Strafgefängnis Hannover gebracht, vor Monatsfrist dann in die Strafanstalt Plötzensee verlegt. Dort berichten die Dokumente von mehrfachen Lazarettaufenthalten. Noch im gleichen Jahr am 15. September wird Julius dann in die Strafanstalt nach Brandenburg-Altstadt gebracht.
Aufgrund seines Gesundheitszustandes wird ihm eingeschränkte Arbeitsfähigkeit attestiert.
Am 6. Januar 1939 wurde Berlin-Tegel der nächste Haftort für Julius Hochgräfe. Dort gab es, wie die Unterlagen belegen, ein Wechselbad zwischen Schikanen (wegen angeblicher Straftaten) und Genehmigungen von kleinen Vergünstigungen. Im Jahre 1940 verfasste seine Schwester Emma ein Gnadengesuch im Namen der Familie Müller, die im Raum Bautzen beheimatet war. Die Eingabe wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Schwere der „Straftat“ (Vergehen gegen die Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.2.1933 zum Schutz von Volk und Vaterland) eine Verkürzung der Haft nicht zulassen würde. Damit kam es - trotz weiterer Interventionen der einflussreichen Familie Müller - erst im Oktober 1941 exakt nach Verbüßung der angedrohten Strafe zur Ankündigung der Entlassung, mit der Maßgabe ihn in das Gestapo Gefängnis Berlin zu überstellen, wo er vom 12.-30. Oktober verblieb und dann nach Sachsen entlassen wurde (nach eidesstattlicher Erklärung von Alfred Schubart, Helsen, durfte er nicht nach Kassel zurückkehren); er war mittlerweile enteignet und aus der Handwerkskammer Kassel ausgeschlossen. In Sachsen wurde er zur Arbeit in der Firma H. Mende & Co in Dresden verpflichtet.
Personalkarteikarte Wehlheiden (HStAM 251 Wehlheiden Nr. 2896)
Personalkarteikarte Tegel (Landesarchiv Berlin A Rep. 370/9657)
Im Jahre 1944 heiratete er Erna geborene Häbler in Großschönau / Sachsen. Sein Gesundheitszustand blieb labil, mit zunehmender Verschlechterung. Die Ehe blieb kinderlos. Im Jahre 1965 verstarb Julius Hochgräfe.
Fotos, wenn nicht anders angegeben, von W. Siegner.
Zitate:
(a) Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974 S. 174
(b) Urteil Sondergericht des OLG Kassel 12.5.37 (AZ:S3 K ks 34/37)
Wilfried Siegner Mai 2022