Der entschiedene Gegner der Nationalsozialisten im Kampf um die Republik war nicht nur politisch sowie gewerkschaftlich sehr aktiv und als Pädagoge ein Verfechter reformpädagogischer Forderungen, sondern wirkte darüber hinaus auch im musikalischen und literarischen Bereich. Sein Sohn Volker charakterisierte ihn als jemanden, der sich „seelenverwandt mit Menschen wie Kurt Finkenstein“ fühlte, für den es in Kassel einen Stolperstein und eine Gedenkstele gibt.
Karl August Quer stammte aus einfachen Verhältnissen. Er wurde am 21.4.1891 in Eltmannshausen (Kreis Eschwege) als Sohn des Weichenstellers Friedrich Quer und dessen dritter Ehefrau Katharina Hartmann geboren. Mit dem Abschluss der Volksschule absolvierte er die Präparandenanstalt in Herborn und das Lehrerseminar in Dillenburg, um Volksschullehrer zu werden. Nach der ersten Lehrerprüfung 1911 trat er eine Junglehrerstelle in Spangenberg an, nach dem zweiten Examen leistete er 1913 als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst in Göttingen. Bei Ausbruch des Weltkrieges heiratete er Martha Schönewald (*4.10.1894 in Jesberg). Die Söhne Wulf-Totila und Klaus-Volker kamen am 26.4.1916 bzw. 28.12.1919 zur Welt.
Von 1914 bis 1918 war Quer Kriegsteilnehmer an der Ostfront und wurde gegen Kriegsende zum Leutnant als Führer einer Kompagnie der Infanterie befördert. In der Zeit einer Frontunfähigkeit erhielt er eine Lehrerstelle an der Volksschule in Ippinghausen, die er aber nicht antreten konnte. Bei Kriegsende befand sich Quer in Libau (Lettland), wo er sich dem Arbeiter- und Soldatenrat anschloss. Wegen Meuterei inhaftiert und offenbar als „roter Rädelsführer“ bezeichnet, entging er nur knapp der standrechtlichen Erschießung, wie seine Frau den Söhnen überlieferte.
1919 trat Quer in Berlin der SPD bei und nahm im gleichen Jahr die Lehrertätigkeit in Ippinghausen auf. Mit der Versetzung an die Bürgerschule 7 in der Unterneustadt zog die Familie 1922 in eine Wohnung in der Hafenstraße 31. An der Schule (heute Unterneustädter Schule) praktizierte Karl August Quer entgegen seiner „preußischen“ Ausbildung fortschrittliche Vorstellungen von Erziehung, die zum Beispiel körperliche oder seelische Züchtigungen ausschlossen, jedoch vom konservativen Kollegenkreis oft nicht geteilt wurden. Wichtig waren ihm die demokratische Einbeziehung von Eltern und Schülerinnen und Schülern durch Schüler- und Elternmitbestimmung, aber zum Beispiel auch mehrtätige gemeinsame Wanderungen mit den Familien. Vor allem betonte Quer die musische Bildung, deren Höhepunkt die Aufführung der „Revue der Unterneustadtjungen“ im Saal des Stadtparks war. Er war verantwortlich für Konzeption, Musik, Texte und Regie und erreichte in diesem Fall, dass seine gesamte Schule mitwirkte.
In diesem Sinne wirkte Quer auch als Repräsentant für die Lehrerschaft. Er war Erster Vorsitzender des preußischen Junglehrerverbandes und der Gewerkschaft Deutscher Volksschullehrer, fungierte als Schriftleiter der Zeitung „Der Volkslehrer“, war Mitglied der Reichsschulkonferenz und des Beirats für Erziehung und Unterricht beim preußischen Kultusministerium.
Bereits 1924 zog er für die SPD in die Kasseler Stadtverordnetenversammlung ein, der er bis 1933 angehörte. Als im gleichen Jahr das „Reichsbanner-Schwarz-Rot Gold“ zur aktiven Verteidigung der Republik von pro-republikanischen Schutzorganisationen ehemaliger Soldaten des Ersten Weltkrieges
gegründet wurde, trat Quer ihm bei und avancierte zum Gauvorsitzenden. Auf unzähligen Versammlungen im Bannergau Hessen-Cassel trat er vehement gegen die Nationalsozialisten auf, zusammen mit Georg August Zinn marschierte er vorneweg. Das verschaffte ihm unter den kämpferisch gesinnten Mitgliedern der Partei einen guten Ruf, ließ ihn aber für die Nazis zu einem der meistgehassten Männer werden, wie Jörg Kammler urteilt.
Die aus Quers Sicht vollkommen unzulängliche Politik der SPD-Führung veranlasste ihn 1931 zum Parteiaustritt und zur Aufgabe seines Amtes im Reichsbanner. Er hatte grundlegend andere Auffassungen über die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Nationalsozialisten als die den Kurs der Partei bestimmenden Funktionäre. Die „Eiserne Front“ hielt er zum Beispiel für einen Irrweg und „Gummitiger“, wie sein Sohn Volker schreibt.
Der Stadtverordnetenversammlung gehörte Quer weiter an. Mit dem gleichfalls aus der SPD ausgetretenen Curt Adelung und Mila Lüpnitz von der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) sowie zeitweise KPD-Abgeordneten bildete er eine Fraktionsgemeinschaft. Allerdings trat er nicht wie der mit ihm befreundete Curt Adelung der linkssozialistischen SAP bei, sondern blieb parteilos.
Ausweis des Reichsbanners für Karl August Quer (StadtA Kassel S1 Nr.1936)
Reichsbannerversammlung (Ort unbekannt)
Kaum an der Macht, entfernten die Nazis den engagierten Pädagogen als ersten Lehrer am 16. März 1933 aus seiner beruflichen Stellung. Seine Schülerinnen und Schüler standen hinter ihm und weigerten sich zeitweilig, von einem anderen Lehrer unterrichtet zu werden. Den Akt der Willkür ‚legalisierten‘ die Nazis später durch die endgültige Entlassung auf der Grundlage des sog. „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Quer wurde eine Rente von 175 RM zugestanden.
Er wurde Zeuge des Nazi-Terrors im gleichen Monat, vor allem in den Bürgersälen, tauchte bei unpolitischen und deshalb unverdächtigen Freunden unter, so dass mehrfache Hausdurchsuchungen
erfolglos blieben, und entging nach den Erinnerungen der Familie nur knapp seiner Verhaftung. Von den Verfolgern gehetzt, floh er aus Kassel und wurde auf seinem Fluchtweg schließlich in
Schneidemühl verhaftet, danach im Polizeigefängnis am Königstor mehrere Wochen inhaftiert. Unmittelbar bei der Entlassung erneut verhaftet, kam Quer am 16. Juni in das KZ-Breitenau, wo er bis am
7. August aus der Schutzhaft‘ der Gestapo entlassen wurde. Dazu schrieb Quer nach dem Krieg: „Der Grund zu dieser Entlassung war mir klar: Ich sollte mir Blößen geben und gleich den
Schicksalsgenossen Lohagen und Finkenstein ein Schreckensurteil über mich ergehen lassen. Mir wurde auferlegt, die Stadt Kassel ohne
Genehmigung der Gestapo nicht zu verlassen. Außerdem musste ich mich täglich zweimal bei der Gestapo melden. Diese Anordnungen der Gestapo wurden erst nach Jahresfrist aufgehoben. Es gelang mir
in der Folgezeit, mich harmlos zu stellen.“ In Breitenau hatte Quer der Erinnerung eines Mitgefangenen nach beim Steinehauen demonstrativ einen ihm im Ersten Weltkrieg verliehenen Orden
angelegt.
Die Not der Familie zwang sie zur Aufgabe der Wohnung in der Hafenstraße. Quer zog mit Frau, den beiden Söhnen und der verwitweten Schwiegermutter in die Eichwaldsiedlung in eine kleine Wohnung, wo diese fünf erwachsenen Menschen in einem Zimmer mit Küche unter dem Dach mehr „hausten als wohnten“ (Volker Quer). Mit literarischer Arbeit suchte der Familienvater die materielle Not zu lindern. Der Gerichtsvollzieher blieb aber ständiger Gast der Familie. Quer schrieb, wie bereits seit 1919, unter dem Pseudonym Volker Wulf (die Vornamen seiner beiden Söhne), konnte allerdings seine Arbeiten mit Ausnahmen nicht veröffentlichen. So wurde die Aufführung seiner Weihnachtskantate „Vom Tod zum Leben“ 1934 in Kassel ebenso verboten, wie die Aufführung seiner Tragödie „Die Hochzeit des Soldaten“, die an mehreren renommierten Theatern geplant war. Begleitet wurde diese Zensur durch Hetze in der Kurhessischen Landeszeitung, die sein Pseudonym lüftete und seine Weihnachtskantate als „Quer“treibereien gegen nationalsozialistischen Kulturwillen, als „heimtückischen Schlag“ gegen den Nationalsozialismus denunzierte. Quer habe den Nationalsozialismus „bis aufs Messer bekämpft“. Wenn er heute „in der jungen Kunst einen Platz beanspruchen“ wolle, dann sei „das eine ungeheure Provokation allen Kasseler Künstlern gegenüber, die verlacht und verarmt sich selbst, Volk und Vaterland treu blieben und ihr Deutschtum bewiesen, als Herr Quer vor dem Reichsbanner gegen das neue Deutschland marschierte.“ Quer galt als „der Repräsentant des Systems, dem unser ganzer Kampf galt.“
Volker Quer schreibt 1985 über seinen Vater: „Die wegen seiner Bekanntheit als militanter NS-Gegner in Nordhessen ausweglose Lage in Kassel veranlassten ihn, die Stadt 1939 zu verlassen.“ Dabei habe die Ehe seiner Eltern diesen Bedrängnissen nicht standgehalten. Karl August Quer ging mit seiner späteren Frau, der Schauspielerin Ilse Jahn nach Pforzheim, die erste Ehe wurde 1940 geschieden. Als Quer der Aufforderung des Gauleiters Weinrich, nach Kassel zurückzukehren, nicht nachkam, wurde er zur Arbeit in der Rüstungsindustrie verpflichtet, die er bei der EIBIA G.m.b.H. für chemische Produkte abzuleisten, einem Unternehmen das sich im Zweiten Weltkrieg zum größten Hersteller von Schießpulver im Deutschen Reich entwickelte und in dem zahlreiche Zwangsarbeiter ihr Leben ließen. Quers Gesundheit litt unter den dortigen Arbeitsbedingungen derart, dass er Ende 1940 zunächst arbeitsunfähig geschrieben und Anfang 1941 entlassen wurde.
Um einer erneuten Dienstverpflichtung zu entgehen, ging er nach Schlesien, wo ihm offenbar Verbindungen zu Theaterkreisen Beschäftigungen an den Theatern in Breslau, Bunzlau, Bad Salzbrunn und schließlich am Stadttheater Glogau (Niederschlesien) verschafften. Hier arbeitet Quer als Dramaturg und Schauspieler, seine Frau Ilse als Schauspielerin. Im Rückblick nach dem Krieg war es für ihn verwunderlich, dass zwei seiner Komödien in dieser Zeit an einer Reihe von Theatern aufgeführt werden konnten. In dem Stück „Der Schalk von Bunzlau“ stand Quer in Glogau selbst als Hauptdarsteller auf der Bühne. Es war, wie sein Sohn schreibt, als Reaktion und Protest gegen die Verharmlosung des Krieges durch „Militärklamotten“ wie der „Etappenhase“ entstanden und sollte „zeigen, dass Krieg keine lustige Angelegenheit ist, sondern für die Menschen Not, Leid und Opfer bedeutet“.
Nach dem 20. Juli wurde Quer in Glogau verhaftet und blieb vom 13. August bis 25. September 1944 in Gestapohaft. Mit der Schließung des Theaters erfolgte seine Verpflichtung zum Volkssturm, nach der Einschließung Glogaus, das die Nazis zur Festung erklärt hatten, wurde er in die Wehrmacht übernommen. Als Soldat geriet er in russische Kriegsgefangenenschaft, die für ihn nach zehn Monaten endete. Weite Teile Glogaus waren dem Erdboden gleichgemacht.
Karl August Quer kehrte nach Hessen zurück und übernahm eine Lehrerstelle in Hemfurth. Er bewarb sich – ausdrücklich nicht mit politischen Begründungen, sondern auf Grund seiner pädagogischen Qualifikationen - als Schulrat und erhielt 1949 dieses Amt im Kreis Witzenhausen. Er starb am 10. Juli 1962, nur wenige Jahre nach seiner Pensionierung.
Wolfgang Matthäus, Juni 2023
Verlegung am 19. Oktober 2023
Quellen und Literatur
HHStAW
Bestand 518 Nr. 3560 | Bestand 527 Nr. II 5569
HStAM
180 Witzenhausen, 3041 | M 177, 1398 |
StadtA Kassel
S 1, 1936 | Bestand INN 2958 („unsystematische Notizen“ von Volker Quer zu seinem Vater)
Gedenkstätte Breitenau
Biografie Quer (Stand 3.3.2023): https://gedenkstaette-breitenau.de/biografien/biografie/quer-karl-august
Frenz, Wilhelm / Kammler, Jörg / Krause, Vilmar, Dietfrid, Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Band 2: Studien, Fuldabrück 1987
Jörg Kammler, Zur historischen Ausgangslage des Arbeiterwiderstandes: Die Kasseler Arbeiterbewegung vor 1933, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde, S. 291ff.
ders.: Widerstand und Verfolgung – illegale Arbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde, S. 325ff.
Dietfrid Krause-Vilmar, Das Konzentrationslager Breitenau, Marburg 1998