Zur politisch motivierten Verfolgung Valentin Gabelsl gibt es vergleichsweise viele Dokumente. Sein Schicksal am Lebensende konnte jedoch nie aufgeklärt werden.
Valentin Gabel wurde am 29. März 1892 in Kassel als Sohn des Schuhmachers Heinrich Gabel und seiner Frau Dorothea geboren. Nach dem Besuch der Volksschule ließ er sich zum Elektriker ausbilden und arbeitete in einer ganzen Reihe von Betrieben in der Region als Elektromonteur. Vom Oktober 1911 bis zum September 1913 leistete er Militärdienst; am Krieg nahm er von 1914 bis zu seinem Ende 1918 teil. Am 1. August 1914 – also zu Kriegsbeginn – heiratete Valentin Gabel Elisabeth Hartmann (1891-1943) und hatte mit ihr die Kinder Margot (1916), Horst (1920), Yvonne (1921), Helga (1924) und Wolf (1927). Die Ehe wurde im Dezember 1932 geschieden.
Der Elektromonteur trat 1913 in die SPD ein, ging dann zur USPD und im Jahr darauf mit vielen vom linken Flügel der USPD zur KPD und arbeitete seit den 1920er Jahren als Aquisiteur und auch Redakteur der Neuen Arbeiterzeitung, der Zeitung des KPD-Bezirks. Recherchen als Journalist über die sog. Schwarze Reichswehr im Jahre 1926 führten zu seiner Verhaftung und einer Anklage vor dem Reichsgericht in Leipzig, wo ihn der Kasseler Anwalt Erich Lewinski verteidigte (siehe dazu ausführlich: Jacob). Valentin Gabel engagierte sich im Kampfbund gegen den Faschismus, der Roten Hilfe und der Revolutionären Gewerkschaftsorganisation (RGO). Er gründete und leitete die oppositionelle Sportbewegung in Hessen-Waldeck. Für die KPD war er vom 26. März 1931 bis zum 31. März 1933, als sein Mandat für ungültig erklärt wurde, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, zeitweilig auch Vorsitzender seiner Fraktion.
Valentin Gabel (2. von links) als Soldat – Treffen einer kommunistischen Gruppe auf dem Schützenplatz vor 1933 (Aufnahmedatum nicht bekannt)
Unmittelbar mit dem 31. Januar 1933 und insbesondere nach dem Reichstagsbrand setzte in der Stadt und der Region eine faschistische Terrorwelle ein, die vor allem, aber nicht nur auf die
Arbeiterbewegung und deren Organisationen zielte. Unter anderem zahlreiche Mitglieder und Funktionäre der KPD (darunter im April die inzwischen illegale Bezirksleitung) wurden verhaftet. Um sich
einer Verhaftung zu entziehen, tauchte Valentin Gabel im Frühjahr bei dem Genossen Karl Vaugt in Spangenberg unter, allerdings vergebens. In der Wohnung Vaugts wurden beide am 4. Juni
verhaftet und anschließend öffentlich gedemütigt. Vaugt gab nach dem Krieg zu Protokoll: „Gabel und ich wurden anschließend in einen offenen Polizeiwagen gestellt und in langsamem Tempo durch
Spangenberg gefahren. Man hatte Gabel mittels einer Kette ein Schild umgehängt mit der sinngemäßen Aufschrift: ‚Das ist der geistige Urheber am Mord Messerschmidt‘. Anschließend wurden wir nach
Kassel gefahren.“
Der Prozess gegen ihn und insbesondere Mitglieder der illegalen Bezirksleitung der KPD (darunter Paul Oppenheim) endete für Gabel am 30. Juli 1933 mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9
Monaten, weil er es verstanden habe, „im Bezirk Waldeck und insbesondere in Korbach die kommunistische Bewegung aufrechtzuerhalten und vorübergehend vielleicht sogar zu stärken.“ Das Urteil wegen
„Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde 1950 als unrechtmäßig aufgehoben.
Noch vor dem Ende seiner Haft beantragte die Geheime Staatspolizei Kassel beim Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin die Verhängung von Schutzhaft nach Gabels Entlassung: „Gabel gilt als der
geistige Urheber des Mordes an dem nationalsozialistischen Stadtverordneten Heinrich Messerschmidt, Kassel, weil er am Tage des Mordes – 18.6.30 – eine kommunistische Versammlung abhielt, die er
mit dem Ausruf: ‚Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft‘, beendete. (…) Gabel ist ein gefährlicher und unverbesserlicher Staatsfeind, von dem nicht anzunehmen ist, dass er seine Gesinnung
ändert. Ihm kann m. E. auf absehbare Zeit die Freiheit nicht wiedergegeben werden, weil bestimmt damit zu rechnen ist, dass er sich sofort wieder illegal betätigt.“ Am 28. Februar 1936 erging der
beantragte Schutzhaftbefehl und Valentin Gabel wurde am 27. März im KZ
Lichtenburg in Sachsen inhaftiert, von wo er am 19. Oktober 1936 in das KZ Sachsenhausen überstellt wurde.
Mehrfach hatten die jeweiligen KZ Kommandanten zu prüfen, ob er entlassen werden könne, lehnten dies aber ab. So hieß es im Dezember 1936: „Er ist heute noch ein unverbesserlicher und
fanatischer Kommunist. Um zu verhindern, dass er sich bei seiner evtl. Aufhebung der Schutzhaft erneut im kommunistischen Sinne betätigt, halte ich eine längere Inhaftierung für erforderlich.“
Oder im März 1937: „In politischer Beziehung ist Gabel noch vollkommen unzuverlässig. Eine Entlassung lehne ich im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ab.“ Als im August 1937
schließlich seine Entlassung befürwortet wurde, fand diese nicht statt, weil es inzwischen eine Entlassungssperre des Reichsführers der SS Heinrich Himmler gab. Valentin Gabel wurde von Anfang
Dezember 1938 bis Anfang Januar 1939 in das Polizeigefängnis in Kassel gebracht. Der Grund dafür ist den vorliegenden Dokumenten nicht zu entnehmen.
Seit dem 5./6. April 1940 war er im KZ Flossenbürg
inhaftiert. Hier gelang es dem gelernten Elektriker, wie Hermann Langbein berichtet, einen Radioapparat zu „organisieren“ und im Lager Nachrichten zu hören - ein Akt, der dazu beitrug, die
Isolation der Häftlinge zu überwinden. Offenbar suchte seine Familie, den Kontakt mit ihm zu halten. Die Bitte seines Sohnes Wolf, ein Paket schicken zu dürfen, wurde allerdings abgelehnt. Ein
Telegramm seines Vaters nach dem schweren Bombenangriff auf Kassel sollte ihn mit der Mitteilung, dass alle am Leben seien, beruhigen. Der Bitte des Sohnes, Valentin Gabel zu entlassen, da
„Kinder und Angehörige total abgebrannt“ seien, entsprach der Lagerkommandant nicht. Allerdings gewährte man ihm seit dem Oktober 1943 einige Hafterleichterungen: „1. Tragen einer Haarfrisur.
(Militärischer Schnitt) 2. Leichtere Arbeit in seinem Beruf. 3. Bessere Unterkunft. 4. Freier Kantineneinkauf. 5. Unbegränzter (sic!) Briefverkehr mit seinem Familienangehörigen in neutralen
Umschlägen und auf neutralem Papier. Jedoch unter Beibehaltung der Zensur.“ Für seine Arbeit als Elektriker u. a. im Außenkommando Grafenreuth erhielt er geringe „Prämien“.
Am 7. November 1944 kam Valentin Gabel zur SS-Sondereinheit Dirlewanger, die im Herbst dieses Jahres begonnen hatte, auch auf politische Häftlinge aus den Konzentrationslagern
zurückzugreifen, allerdings mit wenig Erfolg, weil viele von diesen desertierten und zur Roten Armee gingen. Entweder noch als KZ-Häftling oder bereits als SS-Grenadier schrieb Valentin Gabel an
seine Familie und verfügte, wie im Falle seines Todes mit seinem persönlichen Eigentum verfahren werden sollte. Wohl wissend, dass die Post zensiert wurde, dokumentiert dieser Brief dennoch seine
letztlich ungebrochene Haltung: „Für den Fall, daß mir ein Eisen ins Kreuz fällt und meine so sehr ersehnte Heimkehr damit nicht in Erfüllung geht, bestimme ich folgendes: (…) Noch eins: Sollte
sich die Notwendigkeit ergeben, meinen Namen in einer Todesanzeige zu veröffentlichen, dann ohne den Schmus, den Margot s. Zt. verwendete. Kurz und schmerzlos, lediglich mit der Betonung, daß ich
mir selbst treu geblieben bin. Sollte die Meldung ‚vermißt‘ eintreffen, so ist das noch lange kein Grund zur Unruhe!! Erwartet von mir nicht, dass ich gewichtige Auszeichnungen hole oder gar
Chargen erklimmen will. Ich gehe an die Front mit der Selbstverständlichkeit, das ich getreu meinem Fahneneid meine Pflicht erfülle. Mehr erwartet nicht. – Mit aller Kraft werde
ich mich einsetzen um mit dem Einsatz meines Willens daran teilzunehmen, das Ende des Krieges in denkbar kürzester Zeit zu erreichen. Ich kenne meine Pflicht und den Weg, den ich gehen muß.“
(Hervorhebung im Original)
Aus Briefen an seine Familie vom November und Dezember 1944 geht hervor, dass Valentin Gabel an der slowakischen Grenze eingesetzt werden sollte. Seit März 1945 gibt es keine Spur mehr von ihm.
1950 ließ ihn seine Familie für tot erklären. Der Entschädigungsbürokratie galt sein Tod allerdings nicht als Folge seiner politischen Verfolgung, sondern als militärisches Schicksal.
Die Verlegung des Stolpersteins wurde angeregt von Margrit Steuck-Seil, Kassel.
Quellen und Literatur
HHStAW
Best. 518 57900 | Best. 518 60626
StadtA Kassel
A.5.55 | Einwohnermeldekartei | Register des Standesamtes
ITS Bad Arolsen
Dokumente zu Valentin Gabel u. a. aus den KZ Lichtenburg, Sachsenhausen und Flossenbürg, zur Verfügung gestellt von Klara Gabel, Staufenberg
Belz, Willi: Die Standhaften. Über den Widerstand in Kassel und Hessen-Waldeck 1933-1945, 2. Aufl. Kassel 1978
Fischer-Defoy, Christine: Arbeiterwiderstand in der Provinz. Arbeiterbewegung und Faschismus in Kassel und Nordhessen 1933-1945. Eine Fallstudie, Berlin 1982
Frenz, Wilhelm | Kammler, Jörg | Krause-Vilmar, Dietfrid: Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945. Band 2: Studien, Fuldabrück 1987
Hessische Nachrichten 9.3.1946
Jacob, Berthold: Noch immer Kriegsverrat?, in: Weltbühne 24. Jg. 1928, S. 160ff.
Langbein, Hermann: … nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt am Main 1995 (1980)
Lengemann, Jochen: Bürgerrepräsentation und Stadtregierung in Kassel 1835-1996, Teil 2, Marburg 2009
Vor aller Augen: Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, Essen 2001
Wolfgang Matthäus, Mai 2019