Gedanken zu einem Stolperstein (von Horst Meier) hier
Werner Holländer wurde in Köln als Sohn eines ungarischen Unternehmers geboren. Seine Eltern waren jüdischer Herkunft, gehörten aber der evangelischen Kirche an und ließen Werner 1920 evangelisch taufen. Werner wurde weitgehend außerhalb des Elternhauses erzogen. Die Eltern zogen 1931 zunächst nach Wien und emigrierten 1939 nach Brasilien, wo Werners Schwestern Margot und Helga schon seit 1937 lebten. Werner, der zeitweise hitlerbegeistert war, hatte einen ungarischen Pass und glaubte, von den den antijüdischen Schikanen nicht betroffen zu sein. Nach dem Abitur in Köln studierte er an der TH Darmstadt und arbeitete zunächst kurze Zeit als Patentingenieur in Köln.
Im März 1941 tritt er eine Stelle bei der Firma Henschel in Kassel an, wo er im Laboratorium beschäftigt ist. Er wohnt im Philosophenweg 55 bescheiden zur Untermiete und sucht Geselligkeit im Tennisclub Rotweiß und in Kasseler Cafés. Er ist gut aussehend, höflich und charmant und hat Erfolg bei Frauen. Schnell knüpft er Bekanntschaften. Eine davon wird ihm zum Verhängnis. Elsa W., ebenfalls aus Kassel stammend, wird schon nach wenigen Monaten schwanger und beantragt mit seinem Einverständnis bei der NSDAP-Kreisleitung eine Sondergenehmigung zur Heirat. Die Geburtsurkunde offenbart jedoch Werner Holländers jüdische Herkunft und führt zu seiner Verhaftung am 27. Mai 1942. Die bei einer Hausdurchsuchung gefundenen Aktfotos und persönlichen Unterlagen offenbaren weitere Frauenbekanntschaften.
Am Heiligabend 1942 wurde Anklage erhoben und am 20. April 1943 fand die Verhandlung vor dem Sondergericht beim Oberlandesgericht Kassel statt, die nur drei Stunden dauerte und mit dem Todesurteil endete. Da das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" nur Haftstrafen vorsah, griffen die Richter Hassencamp und Kessler zu einer bis dahin selbst für die NS-Justiz einmaligen Konstruktion. Sie stuften Holländer als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher ein, der nach Nazi-Recht
mit dem Tode zu bestrafen war, wenn „der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne" es erforderten. Originalton des Urteils: „Es ist nach deutschem Rechtsempfinden ein Gebot gerechter Sühne, dass der Angeklagte, der während eines Krieges Deutschlands mit den Anhängern des Weltjudentums die deutsche Rassenehre in den Schmutz zu ziehen wagte, vernichtet wird.“
Werner Holländer wurde noch am selben Tag nach Frankfurt Preungesheim verlegt. Dreizehn Monate musste er dort unter grausamen Haftbedingungen verbringen, ehe er am 30.Mai 1944 mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Der seelische Beistand wurde ihm verwehrt, seine Briefe an die Eltern wurden nicht weiter geleitet. Bestattet wurde Werner Holländer in einem Massengrab. 1948 ließen die mittlerweile in Amerika lebenden Eltern die Asche in ein Einzelgrab umbetten, das erst 1977 auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt eingeebnet wurde.
Jürgen Strube 2014
Quelle: Jürgen Relke:Justiz als politische Verfolgung – Rechtssprechung des Landgerichts und des Sondergerichts Kassel 1933-45 Kassel 1983
"Er war lebenslustig, manchmal gierig nach Leben."
Feature von Horst Meier
Gesendet bei SWR3 am 31.3.1999 und bei DLF am 20.4.1999
Daniel Lobo Filho (Neffe von Werer) beim Besuch des Grabs seines Onkels im Dezember 2014
Bericht darüber hier